Zu Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus (1933)

Von Andreas Peglau

Als Jude, bekannter Kommunist und aktiver Antifaschist gehörte der seit 1930 in Berlin lebende Wilhelm Reich zu der von den Nationalsozialisten als Hauptfeind angesehenen Menschengruppe.

Im April 1933 floh er aus Deutschland. Im Spätsommer 1933 brachte er im dänischen Exil ein Buch heraus, an dem er seit 1931 gearbeitet hatte: „Massenpsychologie des Faschismus“.



Die von A. Peglau betreute Neuausgabe der „Massenpsychologie des Faschismus“ (2020)


Reich stimmte mit Sigmund Freud darin überein, dass die Bildung von Massen vielfach auf der Entwertung des eigenen Ichs und dessen vermeintlicher Erhöhung durch die Identifikation mit einem autoritären Führer beruht. Ebenso teilte er Freuds Annahme, die Bindung an diesen Führer und die anderen Gruppenmitglieder könne durch unbewusste sexuelle Wünsche und familiäre Abhängigkeiten geprägt sein.

Aber er arbeitete zusätzlich die Wechselwirkungen zwischen Führern und Geführten, ihre gegenseitige Abhängigkeit, heraus, das, was sie nicht trennte, sondern verband, die Mitverantwortung der Geführten. Sah Freud beim Massenangehörigen vor allem ein dumpfes Agieren, bemühte sich Reich, die gesamten typischen Vorgänge einer spezifischen Gruppe zu verstehen: bewusste wie unbewusste, neurotische wie gesunde, destruktive wie kreative. Eine realitätsgerechte Massenpsychologie habe, so meinte er, auszugehen von jenen typischen psychischen Prozessen, die „einer Schichte, Klasse, Berufsgruppe etc.“ gemeinsamseien.1 Daher konnte er auch größeren Menschengruppen zubilligen, mehr zu sein als gleichgeschaltete Handlanger eines Alleinherrschers.

Stärken des Nationalsozialismus

Einen nahezu automatisch stattfindenden Individualitätsverlust unterstellte Reich nicht einmal den Hitleranhängern, seien doch „in der Massenbasis des Faschismus, im rebellierenden Kleinbürgertum, nicht nur die rückwärtstreibenden, sondern auch ganz energisch vorwärtstreibende“, antikapitalistische „Kräfte der Geschichte in Erscheinung getreten“. Außerdem „waren es ja nicht nur Kleinbürger, sondern breite und nicht immer die schlechtesten Teile des Proletariats, die nach rechts abschwenkten“. Schon aufgrund dieser differenzierten Herangehensweise findet sich in der „Massenpsychologie“ manches, das Klischees über den Faschismus, wie sie bis heute verbreitet sind, widerspricht.

Es dürfte bereits damals intensive Abwehrreaktionen bei „Links“ und „Rechts“ ausgelöst haben, dass Reich forderte, „die nationalsozialistische Bewegung“ nicht als „ein Werk von Gaunern und Volksbetrügern“ abzutun,

„auch wenn sich in ihr Gauner und Volksbetrüger befinden. Hitler ist nur objektiv ein Volksbetrüger, indem er die Herrschaft des Großkapitals verschärft; subjektiv ist er ein ehrlich überzeugter Fanatiker des deutschen Imperialismus, dem ein objektiv begründeter Riesenerfolg den Ausbruch der Geisteskrankheit erspart hat, die er in sich trägt. Es führt nicht nur in eine Sackgasse, sondern erzielt das gerade Gegenteil des Beabsichtigten, wenn man die nationalsozialistische Führung mit alten, abgeschmackten Methoden lächerlich zu machen versucht. Sie hat mit unerhörter Energie und großem Geschick Massen wirklich begeistert und dadurch die Macht erobert. Der Nationalsozialismus ist unser Todfeind, aber wir können ihn nur schlagen, wenn wir seine Stärken richtig einschätzen und mutig aussprechen“.

Ergänzungsbedürftiger Marxismus

Der Hauptteil der „Massenpsychologie“ setzt damit ein, dass Reich „Zweifel an der marxistischen Grundauffassung des gesellschaftlichen Geschehens“ äußert:

„[D]ie marxistische Politik hatte […] die Psychologie der Massen […] nicht oder unrichtig einbezogen. Wer die Theorie und Praxis des Marxismus der letzten Jahre in der revolutionären Linken verfolgte und praktisch miterlebte, musste feststellen, dass sie […] auf Prozesse der Wirtschaft und auf die engere Staatspolitik eingeschränkt war, […] die Ideologie der Massen […] weder aufmerksam verfolgte noch erfasste.“

Unter Auswertung demographischer Daten erbrachte Reich anschließend den Nachweis, dass zwischen der ökonomischen Situation und der ideologischen Verfassung großer Teile des deutschen Volkes ein erheblicher Widerspruch bestand: Millionenfach verhielten sich Werktätige entgegen ihren „objektiven“ Klasseninteressen, indem sie bürgerliche oder gar „rechte“ Parteien wählten, die das proletarische Elend bestenfalls verwalten, schlimmstenfalls durch massierte Unterdrückung und Krieg potenzieren konnten: „Wir müssen […] feststellen, dass die ökonomische Lage sich nicht unmittelbar und direkt in politisches Bewusstsein umsetzt. Wäre das der Fall, die soziale Revolution wäre längst da.“ Mit Marx sei das nicht mehr zu erklären:

„Der Marxsche Satz, dass sich das Materielle (das Sein) im Menschenkopfe in Ideelles (in Bewusstsein) umsetzt, […] lässt zwei Fragen offen: erstens, wie das geschieht, was dabei ‚im Menschenkopfe’ vorgeht, zweitens, wie das so entstandene Bewusstsein […] auf den ökonomischen Prozess zurückwirkt. Diese Lücke füllt die analytische Psychologie aus.“

Auf der Psychoanalyse aufbauend, bezog er neben dem Bewussten das Unbewusste ein und wies darauf hin, dass dieses maßgeblich in der Kindheit entsteht, und zwar vor allem durch autoritäre Sexualunterdrückung. Die dadurch verursachten unbewussten Hemmungen schlügen sich in kleinbürgerlichen, letztlich konservativen bis konterrevolutionären Haltungen nieder – auch bei Proletariern. Als Beispiel benannte er die „verschiedenartigen Stimmungen“ bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wie er diese schilderte, liest sich wie eine Vorwegnahme der Stimmungslage, die sich bald darauf erneut in Deutschland einstellen sollte:

„Von bewusster Ablehnung bei einer Minderheit angefangen über eine merkwürdige Ergebenheit in das Schicksal oder eine Stumpfheit bei sehr breiten Schichten bis zu heller Kriegsbegeisterung nicht nur in Mittelschichten sondern weit hinein in proletarische Kreise. Die Stumpfheit der einen wie die Begeisterung der anderen waren fraglos massenstrukturelle Fundierungen des Krieges.“

Dass die „Massen“ so reagierten, sei kein Zufall, denn „jede Gesellschaftsordnung“ erzeuge „in den Massen ihrer Mitglieder diejenigen [psychischen – A.P.] Strukturen […], die sie für ihre Hauptziele braucht“. Um zu erklären, wie sie dies bewerkstellige, benötige man die Psychoanalyse, die „in ihrem klinischen Kern die Grundlage einer künftigen dialektisch-materialistischen Psychologie“ sei. Selbst in der „idealistischen Soziologie und Kulturphilosophie Freuds“ fänden sich „mehr Wahrheiten über das lebendige Leben […] als in allen bürgerlichen Soziologien und manchen ‚marxistischen’ Psychologien zusammengenommen“.

Die gegenwärtige, noch immer patriarchale Gesellschaftsordnung sei, so Reich weiter, gekennzeichnet durch Sexualunterdrückung, im Auftrage des Staates ausgeführt insbesondere von autoritärer Kleinfamilie und christlicher Kirche. Doch wie erzeugten diese jene psychischen Strukturen, auf die nun der deutsche und internationale Faschismus zurückgriff?

Hitlers Massenbasis

„Die moralische Hemmung der natürlichen Geschlechtlichkeit des Kindes“ mache, so Reich, „ängstlich, scheu, autoritätsfürchtig, im bürgerlichen Sinne brav und erziehbar“. Das Kind durchlaufe zunächst „den autoritären Miniaturstaat der Familie, […] um später dem allgemeinen gesellschaftlichen Rahmen einordnungsfähig zu sein“. Je „hilfloser das Massenindividuum aufgrund seiner Erziehung“, desto intensiver werde der Wunsch nach einem – autoritären – Ersatzvater. Mit diesem könne sich der Kleinbürger identifizieren, und zwar „so sehr, daß er in geeigneten Augenblicken sein völliges Herabsinken und Herabgedrücktwerden zur bedeutungslosen, kritiklosen Gefolgschaft nicht wahrnimmt“. Im Gegenteil: „Jeder Nationalsozialist fühlt sich in seiner psychischen Abhängigkeit als ‚kleiner Hitler’“.

Auf Herkunft und Persönlichkeit Adolf Hitlers ging Reich jedoch nur am Rande ein, denn: „Nur dann, wenn die [psychische – A.P.] Struktur einer Führerpersönlichkeit mit massenindividuellen Strukturen breiter Kreise zusammenklingt, kann ein ‚Führer’ Geschichte machen.“ Die „kleinbürgerliche Herkunft“ von Hitlers Ideen decke sich in den Hauptzügen „mit dem massenpsychologischen Milieu der Strukturen, die diese Ideen bereitwillig aufnehmen“. Dass die nationalsozialistische „Massenorganisierung gelang“, liege daher „an den Massen und nicht an Hitler“.

Die Charakterstrukturen, die den Faschismus stützten, beschrieb Reich anschließend am Beispiel des von der Obrigkeit abhängigen Beamten. Hier seien diese Strukturen am stärksten ausgeprägt, weil kleinbürgerliche Erziehung und kleinbürgerliche Lebens- und Arbeitsweise übereinstimmten – also nicht wie beim Arbeiter ein Widerspruch zwischen verinnerlichten bürgerlichen Normen und proletarischer Alltagsrealität klaffte. Solidarität sei dem Beamten fremd, da er Kollegen nur als Konkurrenten auf der Karriereleiter sehe. Identifikation gelinge ihm ausschließlich mit Staatsmacht, Nation oder Arbeitgeber. Deren Interessen setze er gegenüber den unter ihm Stehenden durch, was ihm die Anerkennung seiner Vorgesetzten einbringe und noch mehr an diese binde. „Die restlose Ausbildung dieses […] Typs finden wir in den Feldwebeln der verschiedenen Armeen.“

Der Faschismus sei also eine bis ins Proletariat hineinwirkende „Mittelstandsbewegung“, die objektiv den Interessen des Großkapitals nutze: „Dass eine faschistische Bewegung überhaupt existiert, ist zweifellos gesellschaftlicher Ausdruck der Angst der Großbourgeoisie vor dem Bolschewismus.“ Faschismus sei „ideologisch das Aufbäumen einer sexuell ebenso wie wirtschaftlich todkranken Gesellschaft gegen die […] Tendenzen des Bolschewismus zur sexuellen ebenso wie ökonomischen Freiheit“.

Pervertierte Sexualität

Auch die Rassenideologie, die „theoretische Achse des deutschen Faschismus“, habe nicht nur die objektive Funktion, „imperialistischen Tendenzen einen biologischen Mantel umzuhängen“, als Alibi für Eroberungskriege und dergleichen zu dienen. Der Judenhass helfe zugleich dem einzelnen Nationalsozialisten, seine psychosexuellen Blockaden nicht wahrzunehmen. Hintergrund sei, dass die durch lustfeindliche Erziehung und religiöse Indoktrination verteufelte Sexualität in den Köpfen der Menschen zu einem angstbesetzten Monstrum mutiere. Dieses Bild werde auf andere projiziert und dort stellvertretend bekämpft. Habe die christliche Religion seit Jahrhunderten das Sexuelle „als eine internationale Eigenschaft des Menschentums, von dem nur das Jenseits erlösen könne“, angefeindet, so verlege nun der „nationalistische Faschismus das Sexualsinnliche in die ‚fremde Rasse’, sie also gleichzeitig erniedrigend“. „Nordisch“ werde „gleichbedeutend mit licht, hehr, himmelhaft, rein“, asiatisch oder jüdisch hingegen mit „triebhaft, dämonisch, geschlechtlich, ekstatisch“. Der Nationalsozialist bekämpfe also im Feindbild des Juden nicht zuletzt seine eigene verleugnete und angstbesetzte Sexualität.2

Das militärische Gehabe der politischen Reaktion wiederum biete unverfänglich erscheinende, in Wirklichkeit aber ebenfalls sexuell aufgeladene Ersatzbefriedigungen: „die sexuelle Wirkung der Uniform, die erotisch aufreizende, weil rhythmisch vollendete Wirkung der Parademärsche, der exhibitionistische Charakter des militärischen Auftretens“. Ohnehin suche die aufgestaute sexuelle Energie, wenn sie nach dem Erleiden des Erziehungsprozesses auf natürlichem Wege keine Abfuhr mehr erlange, nach Ersatzventilen. Sie fließe nun ein in die natürliche Aggression und steigere diese so „zum brutalen Sadismus, der ein wesentliches Stück der massenpsychologischen Grundlage desjenigen Krieges bildet, der von einigen wenigen aus imperialistischen Interessen insceniert wird“. Letztlich verändere die Sexualhemmung „den wirtschaftlich unterdrückten Menschen strukturell derart, dass er gegen sein eigenes materielles Interesse handelt, fühlt und denkt“.

Quintessenz

Reich beschrieb den Faschismus als psychisches, soziales, ökonomisches sowie politisches Phänomen und ordnete ihn zugleich in umfassendere geschichtliche Zusammenhänge ein. Da die „rechte“ Bewegung ihren Erfolg maßgeblich psychischen Konstellationen verdanke, die Christentum und Autoritarismus seit Generationen erzeugten, genüge eine Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht, um den Faschismus zu besiegen: Kirche, Kleinfamilie und Sexualunterdrückung – letztlich das Patriarchat – seien ebenfalls zu bekämpfen.

Doch dieser Kampf ließ sich, so wie Reich ihn verstand, nun nicht mehr gemeinsam mit den kommunistischen Parteien führen. Reichs Darlegungen in der „Massenpsychologie“ zu folgen, hätte vorausgesetzt, sich von einem zentralen kommunistischen Dogma zu verabschieden: dem Wirken objektiver ökonomischer Gesetze, die nahezu unweigerlich zum Triumph des Kommunismus führen mussten. Schon zu Beginn des Buches hatte Reich eine bittere Bilanz gezogen, die mit dieser Sicht nicht zu vereinbaren war:

„Die deutsche Arbeiterklasse hat eine schwere Niederlage erlitten und mit ihr alles, was es an Fortschrittlichem, Revolutionärem, Kulturgründendem, den alten Freiheitsidealen der arbeitenden Menschen Zustrebendem gibt. Der Faschismus hat gesiegt und baut seine Positionen mit allen verfügbaren Mitteln, in erster Linie durch kriegerische Umbildung der Jugend, stündlich aus.“

Zwar setzte er fort: „Aber der Kampf gegen das neu erstandene Mittelalter, gegen imperialistische Raubpolitik, Brutalität, Mystik und geistige Unterjochung, für die natürlichen Rechte der arbeitenden und schaffenden Menschen […] wird weitergehen.“ Doch er ließ keinen Zweifel daran, dass der Siegeszug des Faschismus für ihn endgültig erwiesen habe, dass ohne psychologisch-psychoanalytisches Verständnis sozialer Prozesse, ohne gravierende Veränderungen in Erziehung, Bildung, Sexualität kein nachhaltiger gesellschaftlicher Fortschritt möglich ist.
Das brachte er im März 1934 im Nachwort zur zweiten Auflage der Massenpsychologie auf den Punkt:

„Versucht man die Struktur der Menschen allein zu ändern, so widerstrebt die Gesellschaft. Versucht man die Gesellschaft allein zu ändern, so widerstreben die Menschen. Das zeigt, dass keines für sich allein verändert werden kann.“

Literatur, Quellen:

Peglau, A. (2017a): Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. 3., erweiterte Auflage. Gießen.

Peglau, A. (2017b): Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus als Erklärungsansatz. Berlin (kostenloser Download: https://andreas-peglau-psychoanalyse.de/rechtsruck-im-21-jahrhundert-buchdownload/).

Peglau, A., (2019): Psychoanalyse im Nationalsozialismus – eine Kurzfassung (https://andreas-peglau-psychoanalyse.de/psychoanalyse-im-nationalsozialismus-eine-kurzfassung/.

Reich, W. (2020): Massenpsychologie des Faschismus. Der Originaltext von 1933. Gießen.

1 Alle Zitate aus Reich 2020.

2 Später sollte Reich diese These auch in seiner Zeitschrift belegen. So zitierte er zum Beispiel im Beitrag Der Jude im faschistischen Licht (Reich 1935) aus einem antisemitischen Flugblatt: „Deutscher Volksgenosse, weisst Du: dass der Jude Dein Kind vergewaltigt, Deine Frau schändet, Deine Schwester schändet, Deine Braut schändet, […] Deutsche Volksgenossen, darum fordert: Für Deutsche, die mit Nichtariern Geschlechtsverkehr unterhalten, Zuchthausstrafen, Aberkennung der Staatsbürgerrechte, Vermögensbeschlagnahme und Ausweisung. Im Rückfall Todesstrafe.“ Reich kommentierte: „Von fünfzehn Beschuldigungen beziehen sich zehn unmittelbar auf Sexuelles.“

2 Kommentare

  1. Danke Herrn Peglau für dieses Buch über Wilhelm Reich; es ist ein unbedingter Gewinn für Leser, die sich für psychosoziale Fragen interessieren.
    Ein Problem habe ich allerdings nach dem Lesen doch:
    „Auf der Psychoanalyse aufbauend, bezog er neben dem Bewussten das Unbewusste ein und wies darauf hin, dass dieses maßgeblich in der Kindheit entsteht, und zwar vor allem durch autoritäre Sexualunterdrückung. Die dadurch verursachten unbewussten Hemmungen schlügen sich in kleinbürgerlichen, letztlich konservativen bis konterrevolutionären Haltungen nieder – auch bei Proletariern“, stellen Sie fest.
    Wenngleich nicht Ihr Thema, so implizieren Sie doch unvermeidlich Assoziationen zu heutigen Entwicklungen, in denen wir zum Glück noch entfernt sind von denen des deutschen Faschismus der 1930/40er Jahre, dennoch aber auf einem ähnlichen Weg dahin. Eine unkritische Übertragung der Sexualtheorie auf Heutiges hält m.E. notwendige Erklärungen aber nicht bereit. Die schon lange obwaltende Sexualisierung des öffentlichen Lebens steht zu ihrer früheren Unterdrückung in direktem Gegensatz, vermag zumindest heute also nicht mehr für Erklärungen zu taugen.
    Abgesehen davon, dass zwischen Freud, Jung und Reich als den seinerzeitigen Pionieren der Psychologie auch zu deren Lebzeiten erhebliche Differenzen bestanden, halte ich Reichs Verengung auf das Sexuelle bei aller Anerkennung seiner Bedeutung in der Psychologie für nicht mehr so recht zeitgemäß, oder irre ich mich hier. Dann bitte korrigieren Sie mich.
    Hanspeter Schuster, Potsdam

  2. Hallo Herr Schuster,
    Sie schreiben: „halte ich Reichs Verengung auf das Sexuelle (…) für nicht mehr so recht zeitgemäß.“
    Für mich ist Reichs – von Freud übernommene -Sexualüberbetonung ohnehin eines seiner Defizite. Mir ist in dieser Hinsicht Erich Fromm näher, der eine viel breitere Vorstellung von menschlichen Grundbedürfnissen hatte.
    Andererseits bin ich der Meinung, dass wir es im Kapitalismus weiterhin mit unterdrückter Sexualität zu tun haben, insbesondere mit deren Pervertierung durch Kommerzialisierung.
    (Siehe dazu auch https://andreas-peglau-psychoanalyse.de/rechtsruck-im-21-jahrhundert-buchdownload/, S. 72-75).
    Auch der Nationalsozialismus erwies sich übrigens nicht als so pauschal sexualunterdrückend, wie Reich es vermutet hatte.
    Freundliche Grüße
    Andreas Peglau

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