Steinbacher Lebenslinien. Eine Spurensuche

Ich weiß nicht, warum die Touristiker gerne mit großem Erfindungsreichtum „Bedeutendes“ in eine Landschaft einschreiben müssen, die nichts anderes aufzuweisen hat als die Tatsache, dass sie existiert und in ihr seit -zig Generationen Menschen hart um ihre Existenz kämpfen mussten und müssen.


Steinbach am Wald: KunstPark am Rennsteig. Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Das oberfränkische Steinbach am Wald im Landkreis Kronach, hart an der Grenze zum thüringischen Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, genauer am Rande des Thüringischen Schiefergebirges, gelegen, ist ein solcher Ort. „Steinbacher Lebenslinien“ – was ist das denn? – heißt ein knapp 12 Kilometer langer Rundweg durch das umgebende Gebirgsland. Steinbach selbst kennen die meisten Leute nur als Durchfahrtsort. Entweder auf der B 85 von Saalfeld kommend Richtung Kronach oder von Lehesten Richtung Neuhaus am Rennweg bzw. nach Lauscha. Das ist schade, die knapp 1100-Seelen-Gemeinde (mit vier Eingemeindungen kommt man jetzt auf etwas über 3000 Einwohner) hat ihre Reize. Aber wir wollen ja den „Lebenslinien“ auf die Schliche kommen.

Die Tour beginnt an der Apotheke des Ortes – da ist eine Bushaltestelle – oder am sympathischen Sport- und Kulturzentrum gleich hinter der Apotheke. Da ist ein Parkplatz. Wir laufen etwa 100 m bis zum unübersehbaren Kreisverkehr und halten uns dann links neben der Ludwigstädter Straße Richtung Kronach. Einen Moment sollten wir innehalten. Auf der Freifläche zwischen Straße und Evangelischer Kirche – Steinbach ist allerdings mehrheitlich katholisch – befindet sich der „KunstPark am Rennsteig“. Das sind aus Fichtenstämmen herausgearbeitete Figuren, die sich mit dem auseinandersetzen, was die Region zumindest aus Sicht der Künstler ausmacht: Wald, Schiefer, Glasmacherei, Glaube, Traditionen, Tourismus – bis hin zum Corona-Virus. Das nun wiederum ist kein Zufall, der Park wurde im September 2020 eingeweiht. Die beteiligten Künstler sind Judith Franke, Michael Steigerwald und Walter Busch.

Der Eindruck ihrer Arbeiten versöhnt etwas mit dem unschönen Weg an der Ludwigstädter Straße. Nach knapp 700 m überqueren wir die bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Ein schmaler Trampelpfad führt über einen kleinen Bach, wir halten uns links und stehen nach weiteren 700 m vor der kleinen, aber Eindruck machenden Kirche St. Johannes Baptista. Dass die mal eine Wehrkirche (im Kern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts) war, ist ihr heute noch anzusehen. Steinbach selbst ist eine Gründung des späten 12. Jahrhunderts. Die Kirche steht wahrscheinlich auf dem Gelände einer Turmhügelbefestigung. Hier war schon immer Grenzgebiet. Der verschlafene Eindruck, den die Gegend heute macht, täuscht. Friedliche Zeiten waren hier eher selten. Die Bamberger Bischöfe jedenfalls ließen den nördlichen Frankenwald in jener Zeit roden – und verschenkten hier umfangreichen Grundbesitz an das Zisterzienserkloster Langheim, das wiederum im Jahre 1388 Steinbach den Bambergern zurückverkaufte. Die Mönche hatte sich finanziell übernommen.


Steinbach am Wald: Wehrkirche St. Johannes Baptista.

Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Wir halten uns an der Kirche scharf rechts, überqueren die Straße nach Windheim und steigen („Steigla“!) bergan Richtung Windheimer Höhe (664 m). Wenn unser Steigla auf einen Fahrweg stößt, links halten. Da steht auch ein Hinweisschild „Windheim 1,5 km“, geradeaus sind es nur 1,3 km … Wir halten uns tapfer links und erreichen nach wenigen hundert Metern den Napoleonsbusch. Auf dem Weg Richtung Saalfeld – er wollte den Preußen zeigen, wo der europäische Hammer hängt – soll Napoleon hier am 7. Oktober 1806 eine Lagebesprechung mit seinen Generälen abgehalten haben. Ob das stimmt, weiß man nicht so genau. Aber der Ort hätte sich aufgrund der hervorragenden Fernsicht trefflich geeignet.


„Steigla“ kommt von steigen… Hier links abbiegen!
Fotos: Wolfgang Brauer (2025)

Drei Tage später stießen Napoleons Truppen nördlich von Saalfeld auf die Einheiten des preußischen Haudegens Prinz Louis Ferdinand. Der schätzte seine Lage offensichtlich vollkommen falsch ein und fiel bei dem Gemetzel, das als „Gefecht von Saalfeld“ in die Geschichte einging. Einer seiner wenigen Offiziere, die einen halbwegs kühlen Kopf behielten, war übrigens Neidhardt von Gneisenau, der spätere preußische Heeresreformer. Saalfeld sollte sich als böses Omen für Jena und Auerstedt erweisen. In Steinbach wusste Napoleon jedenfalls noch nicht, wo die preußische Armee genau stand. Das wusste er übrigens am 14. Oktober in Jena auch noch nicht. Gewonnen hat er trotzdem.

Und wir wissen nicht so genau, wo er überall war. Am selben Tag soll er in Rodacherbrunn, das ist etwas mehr als 20 km von hier entfernt, übernachtet haben. Immerhin war er hier landschaftspflegerisch tätig und pflanzte eine Linde. Sagt man. Da steht sogar eine Linde. Rachsüchtig war er aber auch. Auf dem Rückzug, also im Herbst 1813, soll er Ort und Gasthaus selbst angezündet haben. Den Baum ließ er stehen. Rund um Steinbach musste er nicht mehr zündeln. Die Gegend hatten seine Grenadiere bereits 1806 so stark verwüstet, dass dort eine Hungersnot ausbrach.


Napoleonsbusch. Foto: Wolfgang Brauer (2025)


Windheimer Höhe: An der Alten Heerstraße. Fotos: Wolfgang Brauer (2025)

In kurzer Entfernung zum Napoleonsbusch befindet sich eine Feldscheune, an der uns eine Tafel darauf hinweist, dass der Feldweg die Alte Heerstraße ist. Die kommt hier aus dem Maintal herauf und führt über Ludwigstadt Richtung Saalfeld. Ob die links und rechts neben der halbverwitterten Tafel angebrachten Entfernungsangaben nach Moskau und Paris stimmen, weiß ich nicht. Die Wegweiser machen jedenfalls Wirkung. Aber wir lassen uns weder in die eine noch in die andere Richtung verführen, sondern steigen nach rechts wieder in ein Tal herab. Vorsicht! Den Kreuzweg benutzen besser nicht. Der ist profanen Wanderern verboten, sagt ein weiteres Schild. In Gegenden, in denen seit Jahrhunderten um den rechten Glauben gestritten wird, sollte man so etwas ernst nehmen. Die Kreuzwegdarstellungen sind solide Kunstgussarbeiten, allerdings polnische Importware. Auch die Kirche muss sparen.

Am Ende unseres Abstiegs stoßen wir auf das Forsthaus Windheim. Haus und Grundstück sind in einem Zustand, der von liebevoller Pflege zeugt. Hier gibt es auch einen Biergarten, der hat aber nur Samstags von 15 bis 20 Uhr geöffnet. Schade. Rainald Grebes Rat für Brandenburg-Wanderer („Pack was zu Essen ein…“) gilt inzwischen auch für Bayern. Also weiter nach links in das Pfarrdorf Windheim (2017: 856 Einwohner; der Ort gehört inzwischen zu Steinbach am Walde). Wer hier genau hinsieht, erkennt noch alte, aus der Gründungszeit des Ortes – Ende des 12. Jahrhunderts, auch Windheim gehörte 200 Jahre dem Kloster Langheim – stammende Flurstrukturen: Hinter den Höfen zogen sich die schmalen, von Hecken und Feldrainen begrenzten Flurstücke bis zum Waldrand. Man nennt das Gelängeflure. Für Singvogel- und Schmetterlingsfreunde wahre Paradiese…


Forsthaus Windheim und der Kummbachgrund. Fotos. Wolfgang Brauer (2025)

Wir durchqueren den Ort, schlagen den Weg durch die Hasengasse entlang des Kummbachs ein und folgen dem Wanderzeichen – der Rundweg ist übrigens wie alle Frankenwald-Steigla vorbildlich markiert – durch das idyllische Tal Richtung Wald. Jedenfalls führte unser Weg vor gut vier Jahren noch über 5 km durch dichte Wälder. Die haben der Borkenkäfer und die letzten Dürrejahre vernichtet. Immerhin wird hier, anders als in der Brockengegend im Harz, das Totholz noch weggeräumt. Allerdings mit schwerer Technik, der Zustand der Wege ist dementsprechend. Der Kollateralnutzen: großartige Fernsichten tun sich auf Bergketten und Hochflächen auf, die ihrerseits vor Kurzem noch von dichten Wäldern bewachsen waren.


Menschenwerk. Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Nach gut anderthalb Stunden erreichen wir ein Kleinod, das hier so kaum zu vermuten war, den Ölschnitzsee. Das ist ein in der Mitte der 1980er-Jahre vom Landkreis Kronach angelegter, 2,1 ha großer Stausee, der 2020 bis 2022 zu einem familienfreundlichen Naherholungsgebiet umgestaltet wurde. Ein perfekter Rastplatz!


Ölschnitzsee. Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Der Weg führt jetzt Richtung Frankenwaldhochstraße. Wir überqueren die am Kreisverkehr und stoßen dann auf den Rennsteig. Den vorherigen, entlang der vielbefahrenen Straße verlaufenden Rad-Rennsteig ignorieren wir. Zwischen Blankenstein und Hörsel ist das wohl der fürchterlichste Abschnitt des Höhenweges. Wir folgen jedenfall nach rechts dem grünen „R“ und nehmen nach etwa 200 m den Abzweig nach rechts zu einer Stelle am Wegrand, die „Drei Brüder“ heißt. Man sieht nicht mehr als ein Gedenkkreuz mit einem Schild „Drei Brüder 1618-1648“ . Eine danebenstehende Infotafel klärt uns auf, dass es sich um Angehörige einer protestantischen Familie handelt, die sich wahrscheinlich um 1634 vor wütender Verfolgung durch katholische Kronacher in das protestantische Lauenstein retten wollten und kurz vor dem Überschreiten der Grenze von „rachelustigen Kronachern … zerhieben und zerstochen“ wurden.


Drei Brüder. Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Die Geschichte dieser Gegend ist wahrlich mit Blut geschrieben worden. Genaueres weiß man über die drei Brüder und deren furchtbares Schicksal nicht. Über die Vorgeschichte der „rachelustigen Kronacher“ wäre allerdings einiges zu erzählen. Die katholisch gebliebene Stadt wurde in den 1630er-Jahren dreimal von protestantischen Heeren belagert: im Mai und Juni 1632, dann wieder im Juni 1633 und die heftigsten Attacken erfolgten durch das Heer Bernhards von Sachsen-Weimar im März 1634. Bis zum heutigen Tag erinnert die Ehrensäule auf dem Melchior-Otto-Platz in Kronach an eine grausame Episode der Belagerung von 1632. Die Schweden setzten seinerzeit fünf Männer fest (drei Kronacher und je einen aus Höfles und Weismain), die sie nächtens beim Zunageln der Zündlöcher ihrer Kanonen erwischten. Sie zogen den Bedauernswerten bei lebendigem Leibe die Haut ab und schickten die Geschundenen zurück in die Stadt. Auf der Säule stehen links und rechts neben dem Wappenschild der Stadt zwei Männer, die ihre Haut über dem Arm liegen haben.

Ich denke, wir Deutsche sollten uns mit vorschnellen Urteilen über die Heftigkeit zurückhalten, mit der in anderen Teilen der Welt Religionsstreitigkeiten ausgetragen werden. Wir haben das alles hinter uns. Und das 20. Jahrhundert hat der Welt gezeigt, wie dünn der Lack der Zivilisation auch beim „Volk der Dichter und Denker“ ist.

Von den „Drei Brüdern“ ist es nicht mehr weit bis zum Ausgangspunkt unserer Wanderung in Steinbach. Unbedingt zu meiden ist der auf den „Steigla“-Karten ausgewiesene Theresienpfad. Der ist derzeit aufgrund des Waldzustandes absolut unpassierbar. Lieber umkehren und ein paar hundert Meter Umweg auf dem „offiziellen“ Rennsteig linkerhand. Steinbach am Wald erreichen wir (natürlich) an besagtem Kreisverkehr, der schon unser Ausgangspunkt war. Dessen Mitte krönt ein acht Meter hoher gläserner Obelisk. Der soll einerseits an die durch den Rennsteig markierte Wasserscheide zwischen Elbe und Rhein erinnern und gleichzeitig ein Denkmal für die hiesige Glasindustrie sein. Das tagsüber ästhetisch recht hilflos wirkende Monument erstrahlt aber in der Dunkelheit dank LED-Technik in leuchtendem Blau. Im ursprünglichen Entwurf einer Studentin der Coburger Fachhochschule für Design waren auf den Glasplatten blaue Glassplitter aufgeschmolzen, in denen sich das Sonnenlicht brach.


Er fällt auf jeden Fall auf: der Steinbacher Obelisk.
Foto: Wolfgang Brauer (2025)

Warum der Weg nun „Lebenslinien“ heißt, habe ich nicht herausgefunden. Aber ich empfehle ihn dennoch gern zum Nachwandern.

Ein Kommentar

  1. Lieber Wolfgang!
    Ich möchte gleich loslaufen, bräuchte aber ca 2,5 h Autofahrt vorher dazu!
    Du hast es so anschaulich beschrieben und mit geschichtlichem Hintergrund untermauert ,dafür ein großes Dankeschön!

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