Diese lakonische Aussage stammt aus dem großen Essay „Patriotismus und Christentum“, den der wohl bedeutendste russische Schriftsteller, Lew Tolstoi, 1894 veröffentlichte. In Russland konnte das Buch seinerzeit nicht erscheinen. Tolstois zunehmend kompromisslos werdender Pazifismus passte in der Zeit sich heiß laufender imperialistischer Gewaltpolitik der Großmächte den Herren dieser Länder mitnichten in den Kram. Das hat sich bis heute nicht geändert. Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel Friedenskämpfer wie Erich Mühsam fast nahtlos an die Überlegungen Tolstois anknüpfen konnten.
Der Dichter selbst wurde seit 1882 polizeilich überwacht. An ihn selbst wagten sich die zaristischen Behörden nicht heran. Man verfolgte seine Anhänger. 1901 nahm der Heilige Synod der orthodoxen Kirche seinen Roman „Auferstehung“ (1899) zum Anlass, der Dichter zu exkommunizieren. Seine Antwort: „Die Lehre der Kirche ist eine theoretisch widersprüchliche und schädliche Lüge, fast alles ist eine Ansammlung von grobem Aberglauben und Magie.“
Lew Tolstoi und Maxim Gorki in Jasnaja Poljana (8. Oktober 1900). Foto: Sofja Tolstaja/Sammlung W. Brauer
Gerne missbraucht zum Zwecke der „patriotischen Erziehung“ wurden und werden hingegen Texte Lew Tolstois wie die „Sewastopoler Erzählungen“ (1855) und vor allem der große Roman „Krieg und Frieden“ (1866-1869). Kaum ein Buch der Weltliteratur ist wohl absichtsvoll so gründlich missverstanden worden wie dieses gewaltige Werk. Lew Tolstoi ist hier alles andere als ein Kronzeuge in Sachen Patriotismus. Es ist keine spekulative Übertreibung zu erklären, dass Tolstoi angesichts der patriotischen Hassgesänge Wladimir Putins und seiner Entourage das blanke Entsetzen packen würde. Um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das trifft sicherlich auch auf die martialischen Erklärungen Wolodymir Selenskyjs und etlicher seiner deutschen Sekundanten zu.
Für desto bemerkenswerter halte ich die Tatsache, dass ausgerechnet eine in der russischen Hauptstadt erscheinende Zeitschrift, die Moskauer Deutsche Zeitung, am 21. Oktober 2024 Lew Tolstois Essay in seinen Kerngedanken wieder veröffentlichte. Angesichts der derzeit die Medienlandschaft, beileibe nicht nur die „Mainstream-Presse“, dominierenden kakophonischen Gesänge erscheinen die Thesen Lew Tolstois geradezu radikal-revolutionär. Er lässt keinen Zweifel daran, dass der gängige Patriotismus in erster Linie ein Instrument der Herrschenden ist. Man sollte ihn nicht mit aufrechten Gefühlen wie Heimat- oder Vaterlandsliebe verwechseln, eine Kardinaluntugend der Linken, mit der sich bereits Anna Seghers 1935 auf dem Pariser „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ auseinandersetzte.
„[…] Ich habe ein halbes Jahrhundert unter dem russischen Volk gelebt und während dieser Zeit in der großen Masse der arbeitenden Klasse kein einziges Mal eine Manifestation oder einen Ausdruck dieses patriotischen Gefühls gesehen oder gehört, wenn man von patriotischen Phrasen absieht, die aus Büchern oder in der Armee auswendig gelernt und vom oberflächlichen und verdorbenen Teil der Bevölkerung nachgeplappert werden. Ich habe vom Volk niemals einen Ausdruck des Patriotismus gehört, im Gegenteil sehr oft Ausdrücke von Gleichgültigkeit oder sogar Verachtung für jede Art von Patriotismus, und zwar von den ehrwürdigsten und ernstesten Arbeitern. […]“
Ich meine, es lohnt sich, gerade jetzt diesen Text zu lesen. Ich bin den Moskauer Kollegen dankbar, dass sie ihn wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt haben.
Hier ist der Link zum Artikel der Moskauer Deutschen Zeitung.
Ich wurde im Sinne des HurraaaPatriotismus der Antinapoleonischen Geschichtsschreibung und Sicht in der DDR erzogen (Pionierfreundschaft Ferdinand v.Schill), hab mich davon gereinigt unter der Dusche des Lebens von diesem ideologischem Blutrausch. Ich liebe meine Heimat, das Land in dem ich gerade lebe und zufällig hineingeboren wurde. Danke lieber W.Brauer