Dubiose Atombunker, ein schweigendes Städtchen und Biermann zum Letzten …


Ein beliebtes Muster in der Dramaturgie billiger Katastrophenfilme Hollywoods ist die verzweifelte Suche in Panik geratener Massen nach einem sicheren Zufluchtsort. In der Regel ist das ein angeblich atombombensicherer Bunker, dessen schwere Tore sich aber kurz vor dem Ansturm des Pöbels schließen. „VIP-only!“ – was synonym mit „zahlungskräftig“ zu lesen ist.

Kein Hollywood-Schrott, der von der Wirklichkeit nicht übertroffen wird. Genauso ein Ding soll jetzt in der Nähe von Halberstadt (Sachsen-Anhalt) entstehen. Der sächsische Immobilienentwickler Peter Jugl (Motto bei LinkedIn: „Ein Vorsprung hat, wer dort anpackt, wo andere erst einmal reden“) hat ein mehrere Kilometer langes Stollensystem gekauft, das sonst keiner haben wollte, vor allem nicht das Land Sachsen-Anhalt. Jugl will daraus einen „sicheren Zufluchtsort in Krisenzeiten“ machen. Es solle das „größte private Bunkerprojekt der Welt werden“ – die verzweigten Stollen haben 13 Kilometer Gesamtlänge –, berichtete am 15. August 2024 die Mitteldeutsche Zeitung. Als Eigentümerin fungiere die „Mining Project Management Company“ aus Gambia. Kreuzworträtselfreunde wissen, das liegt in Westafrika. Der gambische Bergbau reduziert sich allerdings mangels Abbauwürdigkeit anderer Rohstoffe auf Sand und Tone…

Wer auch immer hinter der Company steckt, die „sicheren“ Bunkerplätze sollen gegen Zahlung mit einer Krypto-Währung verkauft werden. Als mögliche Eigentümer zitiert die Mitteldeutsche Namen wie Donald Trump, Wladimir Putin und einen gewissen „Elon M.“. Das ist jetzt keine Satire!

Allerdings gibt es inzwischen Ärger und handfesten Protest. Die Stollen wurden zwischen April 1944 und April 1945 von Häftlingen des Buchenwald-Außenlagers Langenstein-Zwieberge angelegt. Von 7000 Arbeitssklaven der Nazis starben dabei rund 2000. „Der Stollen fraß die Menschen mit einem unvorstellbaren Heißhunger“, zitiert eine große Info-Tafel am Stollen-Eingang der KZ-Gedenkstätte den ehemaligen belgischen Häftling Bernard Klieger. Ich bin mir sicher, die Proteste werden Erfolg haben, und die Gedenkstätte wird bleiben.

Aber den größten Teil des Stollensystems wird Peter Jugl wohl „weiterentwickeln“. Gegen sein perverses Vorhaben selbst gibt es bislang kaum Proteste. Auch der Spiegel und die Magdeburger Volksstimme ziehen sich lediglich auf den Denkmalschutz zurück. Das muss man doch endlich kapieren: Bunker sind nun mal nötig in kriegerischen Zeiten! Und wer sich einen Platz im Luxus-Sarkophag nicht leisten kann, ist selber schuld.

Die Mitteldeutsche Zeitung zitiert den Beiratsvorsitzenden der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge Rainer Neugebauer: „Das ist keine Immobilie, das ist letztlich ein Massengrab.“ Neugebauer hätte richtiger sagen müssen: „Das ist ein Massengrab, und es soll künftig diese Aufgabe wieder übernehmen.“ Ob sich danach in Mitteleuropa noch jemand findet, der eine neue Gedenkstätte einrichtet, ist stark zu bezweifeln.

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DIE ZEIT (35/2024) hat einen tapferen Reporter in den Osten geschickt. Nicht gleich in die Innere Mongolei, aber immerhin nach Thüringen. Ein ganz klein wenig muss sich der Kollege Stefan Willeke aber doch vorgekommen sein wie Richard Burton bei der Suche nach den Quellen des Nils. Dabei war er nur in Ziegenrück im Saale-Orla-Kreis. 615 Einwohner hat das beschauliche Städtchen. Bei den letzten Europawahlen erreichte die AfD hier 48%. Es müsste doch ein Leichtes sein, in Ziegenrück Leute zu finden, die sich als Wähler dieser Partei bekennen – und auch noch erklären können, warum sie das tun. Das meinte man wohl zumindest in den Hamburgischen Redaktionsstuben.

Willeke wagte sich sogar in die Höhle des Löwen, das Ziegenrücker „Viehmarktstübl“ – aber keiner, wirklich keiner will die AfD gewählt haben. Jedenfalls will es keiner der ZEIT gegenüber zugeben. Noch nicht einmal die AfD-Leute. Und erklären will es erst recht keiner so, dass Willeke es verstehen kann. Der tapfere Reporter muss sich wie bei einer Mafia-Recherche in Trapani gefühlt haben. Auch im Schiefergebirge herrscht offenbar das Gesetz des Schweigens. Am Ende seiner aufreibenden Suche stieß er immerhin noch auf zwei Leute, die zugeben, AfD gewählt zu haben. Zwei von 138. Die Grünen erhielten in Ziegenrück zwei Stimmen. Die beiden waren das unter Garantie nicht.

Aber Stefan Willeke fand einen Erklärer der thüringischen Zustände. In München. Ein dortiger Wirtschaftswissenschaftler namens Davide Cantoni hat herausgefunden, dass Thüringen schon immer … also, zumindest im März 1933 wählten hier 47% die NSDAP. Im Rest des Reiches waren es „nur“ 44%, in Ziegenrück dafür 49%.

Allerdings stellt sich Willeke selbst die rhetorische Frage, ob denn diese Analogie nicht doch ein wenig „arg weit hergeholt“ sei.

Natürlich nicht, kontert eine Seite weiter im großformatigen Blatt der absolute Fachmann für ostdeutsche Fehlentwicklungen Wolf Biermann und watscht „die Ossis“, die nach Meinung von zwei wissenden ZEIT-Interviewern „ein Freiheits- und Demokratieproblem“ haben, kollektiv ab: „Den Bequemlichkeiten der Diktatur jammern sie nach, und die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd. […] Ihr altes Leben verklären sie und wählen AfD oder die neue Firma von Sahra Wagenknecht. […] Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus.“

Wenn das nicht ein echter „Doppel-Wumms“ (Olaf Scholz, auch ein Hamburger) ist! Nun wissen wir mal wieder Bescheid. Wolf sei Dank! Man könne nun mal nicht (ich zitiere den Meisterpoeten wörtlich) „Scheiße“ (die Diktatur des Ostens) „mit Brot“ (die Demokratie des Westens) mischen.

Ich könnte mir allerdings ab sofort die 6,70 Euro sparen, die dieses Blatt inzwischen kostet. BILD ist billiger. Der Kammerton ist derselbe. Die publizistische Qualität auch.

(19. August 2024)

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