von Klaus Möckel
Hundert Zeilen über die DDR-SF? Mir will scheinen, an ihrer Stelle könnten einfach die folgenden zwei stehen: Schade, dass sie vor zehn Jahren eines so jähen Todes sterben musste! Sie war ja – vor allem zuletzt – recht gut in Schwung gekommen.
Lichtjahr 1. Der Phantastik-Almanach erschien 1980 im Verlag Das Neue Berlin
Ich weiß, dieses Bedauern wird nicht von jedem geteilt und lässt viele Leser ohnehin kalt. Es ist im Grunde nur für jene nachvollziehbar, die mit dem Genre befasst waren, die Schreiber, Kritiker, Fans, Sympathisanten. Wer trauert schon um eine Verstorbene, zu der er keinerlei Beziehungen hatte. Aber unterschiedliche Meinungen gibt es gewiss auch im Kreis der SF-Anhänger. Das hängt mit dem Gewicht zusammen, das man beim Blick auf das Material dem tauben Gestein zumisst. Neben Glimmer und (bescheidenem?) Glanz findet sich davon ja ebenfalls genug.
DDR-SF – gab es die überhaupt? Hatte sie ein Eigenleben, ein Gesicht, eigenständige Bedeutung? War sie ein Stück Weltraum, auf ein Territorium von ganzen 108.200 m² Größe geholt? Die unendliche Weite ins enge Geviert streng gesicherter Grenzen gelockt? Eine Flucht in die Vergangenheit, Sehnsucht nach einer Zukunft ohne Tages-, Klassen- und Parteizwänge? Eine Verbeugung vor genialer (westlicher) Wissenschaft und Technik, die im eigenen Land trotz gegensätzlicher Beteuerung des Staates eher schwächlich daherkamen? Wurde sie des Geldes wegen geschrieben, das man bei einiger Gewitztheit damals mit ihr verdienen konnte, oder aus der Hoffnung heraus, sich dem kommunistischen Übermorgen damit wenigstens im Traum zu nähern? Solche Fragen darf man im Allgemeinen wohl mit einem Ja beantworten. Es ist aber eine Binsenweisheit, dass die meisten der genannten Gesichtspunkte nicht nur auf die SF in der DDR zutrafen. Zumindest in den Staaten, in denen die marxistische Weltanschauung gelehrt wurde, schlugen sich Bedenken oder Wunschvorstellungen ähnlich nieder. Nationale Eigenheiten fielen dabei kaum ins Gewicht, und lediglich die geographische Lage der DDR, ihre Nähe zum Kapitalismus, mag dazu geführt haben, dass Kritik, fantasievoll verbrämt, hier bisweilen ungenierter daherkam als andernorts.
SF pädagogisch: Dieses bildnerische Vision (Ausschnitt) einer Forschungsstation auf dem Mond stammt aus der 1968er Neuausgabe des Sammelbandes „Weltall Erde Mensch“, der allen Jugendweiheteilnehmern übergeben wurde. Gut anderthalb Jahre, nachdem ich dieses Buch erhielt, landeten tatsächlich die ersten Menschen auf dem Mond. Es waren US-Amerikaner. In der Folge stellte die Sowjetunion ihr – geheimes – bemanntes Mondlandeprogramm ein. In weiser Voraussicht verzichteten die Zeichner des Bildes auf Staaten-Symbole…
Sie hieß bei uns utopische, später phantastische Literatur, bevor die englische Bezeichnung allgegenwärtig wurde. Dem fantastischen Element, ganz gleich, ob mit dem altmodischen Ph oder dem modernen F geschrieben, verdankt sie meines Erachtens in erster Linie das, was ich eigenständig nennen würde. Ich hüte mich, Namen oder Werke zu nennen. Ich habe das Material nie studiert, nur einige Texte verfasst, einiges mitgelesen und vieles wieder vergessen, so dass ich zwangsläufig ungerecht urteilen würde. Doch ich finde, die SF stellte damals ein Experimentierfeld dar, das von den Autoren auch genutzt wurde. Da gab es Versuche über Zukunftsvisionen, neue Ideen wurden entwickelt, Warnungen (auf die sich die heutige SF vielfach reduziert) bildhaft gemacht. Kritik wurde – wenngleich nur im Detail – im echten Sinne des Wortes geübt. Umstürzlerische Gedanken, Überlegungen, die am Wesen einer Zukunft ohne Klassenunterschiede rüttelten, wird man kaum finden, das verhinderte die äußere oder innere Zensur: Der Mensch hatte besser zu werden, nicht räuberischer, der utopische Ehrgeiz des Schriftstellers zeigte sich u.a. in der Absicht, den Egoismus des Individuums, seine Besitz-und Erbgier zu zügeln, wenn nicht auszuschalten. Doch wurde der Einzelne bei alldem immer wichtiger, das sogenannte „gesellschaftliche Ganze“ glänzte mehr und mehr durch Abwesenheit.
Waren die damaligen Vorstellungen und Wünsche das Schreiben wert? Ich denke schon. Dass die Gefahr nicht von fremden Sternen kam, keine abgefeimten Bösewichte außerirdischer Herkunft mit Laserwaffen den Weltraum durchsiebten, kann ich nicht als Nachteil betrachten. Gewiss, besonders in der frühen DDR-Zeit wurden als Pendant dazu oft hinterhältige Kapitalisten, die rückständige Planeten im Joch hielten, bekämpft und umerzogen. Doch die wachsenden Konflikte im „real existierenden Sozialismus“ lenkten den Blick auf die Widersprüche im eigenen Umfeld. Der äußere „Feind“ wurde dort unwichtig, wo die Zukunft wegen innerer Mängel der Gesellschaft ins Schwanken geriet. Kritik und Satire nahmen in den Büchern zu, hier und da von der Hoffnung genährt, alles könnte vielleicht doch noch gut werden.
Wert wurde dem Genre innerhalb des DDR-Schrifttums genauso wenig beigemessen wie der nicht angelsächsischen SF im heutigen Literaturgeschehen – eher noch weniger. Es gab Autoren, die sich über sie lustig machten, und Kritiker, die es unter ihrer Würde fanden, ihr auch nur eine Zeile zu widmen. Dessen ungeachtet wurde sie von manchem wegen ihrer hohen Auflagen beneidet. Dieses Schicksal teilte sie übrigens mit anderen literarischen Genres, etwa dem Kriminalroman.
Dem Umbruch von 1989 erlag, von einigen Ausnahmen abgesehen, die gesamte DDR-Literatur. Dennoch ist es erstaunlich, dass gerade die SF, die ja für ein breites Publikum kritisches Denken, aber auch Abenteuer, Spiel, und Vergnügen war, so unwiderruflich hinscheiden musste. Offenbar wirkte sich hier neben dem ideologischen Schiffbruch die amerikanische Übermacht besonders stark aus. Es ist tragikomisch, dass einer Literatur, die der Zukunft grenzenlose Mittel zuschrieb und den Wert des Geldes auf Null reduzierte, aus vornehmlich finanziellen Erwägungen heraus der Hahn zugedreht wurde.
Einmal bewiesenes Fabuliertalent und schriftstellerischer Witz verlieren sich nicht, deshalb ist durchaus vorstellbar, dass dem einen oder anderen Autor jener Jahre eine neue Veröffentlichung glückt, in die etwas vom Geist der DDR-SF einfließt. Aber der Schriftsteller ist das eine, das Publikum ein anderes. Seinerzeit forderte es solche Bücher aus bekannten Gründen und honorierte sie durch Kauf. Ich muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass sich diese Situation für unsereinen nicht so schnell wiederholen wird.
Buchcover von Ernst Franta. Unter
Verwendung eines Bildes von Dan Möckel
Klaus Möckel schrieb diesen Essay 1999 für den Sammelband „Lichtjahr 7“, mit dem der Freundeskreis Science Fiction Leipzig e.V. die beliebte Reihe der Phantastik-Almanache des Verlags Das Neue Berlin fortsetzen wollte. In diesem Verlag erschienen zwischen 1980 und 1988 insgesamt sechs „Lichtjahr“-Bände, allesamt betreut von Erik Simon, der auch „Lichtjahr 7“ verantwortete.
Möckel eröffnet seinen Sammelband „Immer zu Diensten“ mit dem Essay „Zukunftsblicke“, der 1984 in „Lichtjahr 3“ erstmals erschien. Klaus Möckel, 1934 in Kirchberg/Sachsen geboren, ist ein äußerst produktiver Übersetzer, Herausgeber und Autor, dessen Werk vom Krimi über die SF, historische Romane und Satiren bis hin zum Kinderbuch ein breites literarisches Spektrum abbildet. Unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow verfasste er mit seiner Frau Aljonna insgesamt acht Bände, in denen Nikolai Wolkows Erzählungen um den Zauberer der Smaragdenstadt weitererzählt werden.
Sein 1983 erschienenes Buch „Hoffnung für Dan“ wirkte mit der eindrucksvollen Erzählung vom Ringen der Eltern um ihr Kind in der DDR hinsichtlich des Umgangs der Gesellschaft mit Menschen mit starken Behinderungen tabubrechend. 2015 veröffentlichte er gemeinsam mit Aljonna Möckel „Hoffnung, die zweite. Dan und seine Bilder“. Ein Bild des gemeinsamen Sohnes Dan Möckel ist Bestandteil des Umschlages von „Immer zu Diensten“. Aufmerksam machen möchte ich auch auf Aljonna Möckels überaus lesenswerten Lebens- und Arbeitsbericht „Picknick im Zauberland“ (2022).
Ich danke Klaus Möckel für die freundliche Erlaubnis, seinen Text verwenden zu dürfen.
Klaus Möckel: Immer zu Diensten. Alle SF-Kurzgeschichten, Edition digital, Bad Salzdetfurth 2024, 264 Seiten, 16,00 Euro.
Aljonna Möckel: Picknick im Zauberland. Mein Leben mit Sprachen, Edition D.B., Erfurt 2022, 180 Seiten, 12,80 Euro.
Vielen Dank sowohl an Klaus Möckel als auch an Wolfgang Brauer!
Das, was ich damals an „DDR-SF“ gelesen habe, hatte für mich – neben dem Spannend-unterhalten-Werden – tatsächlich vor allem die Bedeutung eines „Experimentierfeldes“: Möglichkeiten ausspinnen, die die Realität (noch) nicht hergab.
Vor kurzem habe ich wieder eines dieser Gedankenexperimente gelesen. Und ich hatte den Eindruck, dass sich die Realiät dem in manchen Punkten annähern könnte: Gerd Prokops „Wer stiehlt schon Unterschenkel/ Der Samenbankraub“ (https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/titel/die-unglaublichen-kriminalfaelle-des-timothy-truckle.html). Sicher kommt hier bei mir auch eine gehörige Portion Wunschdenken zum Tragen. Aber die dort ausgebreitete Vorstellung einer sich immer mehr isolierenden, durch extreme soziale Zerrissenheit gezeichneten USA klingt nicht gar so utopisch. Auch wenn – im Gegensatz zu den weiteren Annahmen des Buches – der Rest der Welt offenkundig momentan nicht dahin tendiert, kommunistisch zu werden.
Zu Andreas Peglau: Ja, der Gert Prokop – auch so einer, der mit der Zukunft experimentierte und der DDR im Krimi beizukommen suchte. Was wir damals vielleicht noch erhofften, ist Lichtjahre entfernt. Ein feiner Kerl, der ’94 zur Pistole griff und aus dem Leben ging. Viel zu früh gestorben, eine Tragödie… Seine Bücher sind noch im Antiquariat zu finden und beim Eulenspiegel Verlag, zumindest als E-Books.
Beim Eulensiegel-Verlag gibts Timothy Truckle noch als richtiges Papierbuch.
Auch auf Prokops Kinderbücher lohnt es sich, hinzuweisen, zum Beispiel „Der Hausflug“.
Ich habe mit ihm 1988 bei Jugendradio DT 64 eine zweieinhalbstündige Sendung aufgenommen in der Reihe „Hörbühne“. Aber die gibts natürlich nicht mehr.