Auch den Begriff „Hundposttage“ muss man wörtlich nehmen. Jean Paul mit seinem Pudel Ponto 1819. Scherenschnitt von Luise Duttenhofer
Alfred Kerr beschwört in seinen „Briefen aus Berlin“ am 21. August 1898, von der „lange schweigenden Erinnerung“ verzaubert, ein Jahre vergangenes Lektüreerlebnis und greift aus dem Bücherregal „das zerrissene, zerlesene, mit Bleistiftzeichnungen bedeckte“ Bändchen heraus: „… das teure, das man in einsamen Studentenzeiten einsam vergöttert hat“. Es ist Jean Pauls Roman „Hesperus oder 45 Hundposttage Eine Lebensbeschreibung“ (1795). Kerr, der Meister lakonischster Kürze, zerfließt fast vor Hochachtung eingedenk der Lebenswerke, wie er sie nennt, des Großmeisters epischster Breite der deutschen Literatur überhaupt. Jean Paul werde man „weitaus zuerst zu nennen haben, wenn von dem Städtchen Bayreuth die Rede ist. Nicht den sächsischen Agitator, der voll begeisterter Schlauheit und trunkener Gerissenheit ein Unternehmen dort zustande brachte, das zwischen Nationalheiligtum und Gründungsgeschäft eine so edle Mitte hält.“
Das geht gegen Richard Wagner und den Bayreuther Wagnerkult, „dem offiziell ausbrechenden Blödsinn“. Dem lassen wir aber getrost seinen Lauf. Das herrschende Mittelmaß dieses Landes scheint augenblicklich zu knickrig zu sein, seinem kulturellen Dorfanger auf dem grünen Hügel einigermaßen auskömmliche Pflege zukommen zu lassen. Selbst Mimes Schmiedefeuer drohte für 2025 die Sparflamme. Aber bedeutender sind sowieso die Gladiolenfelder zum Selberschneiden ganz in der Nähe.
Mit Alfred Kerr halte ich es ansonsten lieber mit Paul, dem „größeren Bayreuther“. Eigentlich wurde der in Wunsiedel geboren. Aufgewachsen ist er aber in Joditz. Das liegt nördlich von Hof an der Saale. 1765 erhielt der Vater hier eine Pfarrstelle, die er bis 1776 inne hatte. Pfarrstelle klingt nach solider Finanzierung. Das war mitnichten so. Pfarrer Richter war ein vom Patronatsherren von Plotho auf Zedwitz kurz gehaltener Hungerpastor. Dennoch erzählt Paul in seiner „Selberlebensbeschreibung“ – die fertig gestellten Teile wurden erst 1826 veröffentlicht, der Dichter starb 1825 – von den Joditzer Kinderjahren voller Liebe und Dankbarkeit.
Man muss das äußerst nützliche Büchlein, wie alles aus der Feder Pauls, sehr genau lesen. In der „Zweiten Vorlesung“ – der Autor hat sich selbst zum „Professor der Geschichte von sich“ ernannt – gibt er uns hilfreichen Rat, wie wir heute in Zeiten medialer Überflutung, fake-news, gekaufter Investigativberichterstattung und schreibenden, Kreide gefressen habenden Tyrannen- und Geldknechten im Medien-Tsunami den Kopf über Wasser halten können. Jean Pauls Ratschläge sind geistiger Ausfluss der Armut des Joditzer Pfarrers.
Eine eigene Zeitung konnte sich der Vater nämlich nicht leisten. Aber die Patronatsherrin, die Frau von Plotho, schenkte ihm die Bayreuther Zeitung: „Monatlich oder vierteljährig – so oft er eben nach Zedwitz ging – brachte er einen Monat- oder Vierteljahrgang auf einmal nach Hause, und ich und er lasen sie mit Nutzen, eben weil wir sie mehr band- als blattweise bekamen. Eine politische Zeitung gewährt, nicht blatt-, sondern heft- und bandweise gelesen, wahrhafte Berichte, weil sie erst im Spielraume eines ganzen Heftes Blätter genug zum Widerruf ihrer andern Blätter gewinnt …“
Ich will jetzt nicht gegen einzelne deutsche Postillen polemisieren. Im Augenblick ändern sie ständig angesichts täglich wechselnder politischer Großwetterlagen alle mehr oder weniger heftig ihre Positionen. Wenn sogar ein gewisser Robert Habeck im Ausdruck tiefster Empörung seit zwei Tagen den Vereinigten Staaten „Imperialismus“ vorwirft… Wie soll sich dann ein armer Redakteur verhalten, dem sein Schreibtisch lieb ist? Lassen wir aber die Kollegen ihre Positionen den Tageserfordernissen anpassen. Nehmen wir Jean Pauls Rat ernst und legen die Morgenzeitung ungelesen auf einen Stapel und gehen den zu Ostern durch. Die Nachrichtensendungen des Fernsehens sollten wir bis dahin auch ignorieren. Das Fernsehen ist technisch bedingt noch wetterwendischer.
Warum Ostern? Bis Ostern wird möglicherweise die Ukraine aufgeteilt sein. Ganz am Rande: Zu Jean Pauls Zeiten passierte so etwas alle halbe Jahre. Da gab es keine UN-Charta oder solch Zeugs… Präsident Trump hat dann den Europäern gezeigt, wo Barthel den Most holt, und die halten sich wieder an die transatlantischen Spielregeln. Und wir haben endlich wieder eine Regierung, die im Haus der Bundespressekonferenz regelmäßig hilfreiche Hinweise gibt.
Aber was lesen wir bis dahin? Ich empfehle Jean Paul zum Beispiel. Warum nicht mal den „Hesperus“? Oder Alfred Kerrs Berichte aus der Reichshauptstadt Berlin. Da steht viel über unser Heute drin… Und Ostern 2025, ja da brauchen wir keine Satireblätter. Da reichen die Morgenzeitungen der Woche vom 24. Februar zum 2. März. Für meine grönländischen Leser: Das ist die Woche nach den Wahlen zum Deutschen Bundestag…
Joditz (Lkr. Hof): Die Pfarrkirche des Vaters von Jean Paul.
Foto: Wolfgang Brauer (2022)