Unaufhaltsam in die Diktatur – der Freiheit wegen?

1941 veröffentlichte der Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm (1900-1980) seine Schrift „Die Furcht vor der Freiheit“. Nicht zuletzt beinhalt sein Buch – es nimmt sich geradezu wie ein Entwurf des Frommschen Gesamtwerkes aus – den Versuch einer Erklärung für die Entstehung der zehn Jahre zuvor von vielen europäischen Intellektuellen noch für undenkbar gehaltenen Massenbasis des Faschismus. Wer gegen die bestehenden Verhältnisse war, hatte bitteschön links zu sein… In seiner Faschismus-Analyse bezieht sich Fromm dezidiert auf dessen italienische und deutsche Ausprägung. Allerdings sind die Analogien seiner Befunde zu den Zuständen in der Stalinschen Sowjetunion nicht zu übersehen. Zur Basis der Überlegungen Fromms gehören auch tiefgehende sozialpsychologische Untersuchungen, die er zum Teil noch in Deutschland vor seiner Emigration 1933 vornehmen konnte. Fromms Nähe zu Wilhelm Reich („Massenpsychologie des Faschismus“, 1933) war zwangsläufig.

Ich meine, der Griff zu den Schriften beider Psychoanalytiker aus jenen Jahren kann helfen, die für viele Menschen nur schwer erklärbaren Wahlergebnisse rechtsextremer und sich autoritär gebärdender Parteien in Europa und die diversen demoskopischen Befunde über ihre Anhängerschaft verstehbarer zu machen. Der europäische Rechtsruck und der damit verbundene Niedergang der Linken sind unübersehbar. Deutschland trabt aus verschiedenen Gründen nur hinterher. Auch das gab es schon einmal…

Wenn Erich Fromm als einen Erklärungsansatz das Phänomen der „Furcht vor der Freiheit“ beschreibt, so meint er allerdings mitnichten die Art Freiheit, wie sie bei uns zum Beispiel Christian Lindner und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (beide FDP) in einer Endlosschleife medial beschwören. Im Gegenteil. Wer nur ein wenig aufmerksamer liest, wird bemerken, dass Fromm gerade diese Denkweisen als Auswurf der kapitalistischen ökonomischen Entwicklungslinien und als eine der wesentlichen Ursachen für die psychischen Deformationen breiter Volksschichten betrachtet. Darin ist er sich wiederum mit Wilhelm Reich sehr einig. Tragischerweise mit vielen heutigen linken Denkern nicht. Auch dies erklärt die aktuell fehlenden wirksamen Gegenstrategien zu rechten Entwicklungen. Wie in den späten 1920er-Jahren reduzieren deren Ansätze sich häufig auf immer abgenutzter daherkommende lautstarke Parolen – und sehen gelegentlich den Hauptfeind wieder wahlweise bei der SPD oder den Grünen. Auch das gab es schon einmal…
Der Weg in die neue Katastrophe scheint also programmiert zu sein. Ich meine, er muss aber nicht unaufhaltsam zuende gegangen werden. Den Befunden und Lösungsüberlegungen Fromms sollte deshalb mit gehörigem Interesse begegnet werden:

„Trotz allem dick aufgetragenen Optimismus und trotz aller äußerlichen Initiative ist der heutige Mensch vom Gefühl einer tiefen Ohnmacht erfüllt, so daß er wie gelähmt herannahenden Katastrophen entgegenstarrt.“1 Fromm erklärt diese Lähmung, die in Permanenz nach Autoritäten sucht, denen man sich unterwirft, um dann wiederum die eigene Ohnmacht zu beklagen, mit der „Bereitschaft, jede Ideologie und jeden Führer zu akzeptieren, wenn er nur etwas Aufregendes verspricht und eine politische Struktur und Symbole anbietet, die dem Leben des einzelnen angeblich einen Sinn geben und wieder Ordnung hineinbringen. Die Verzweiflung des automatenhaften Konformisten ist ein fruchtbarer Boden für die politischen Ziele des Faschismus.“2

  1. Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit, dtv, München 2022, 27. Auflage, S. 185. ↩︎
  2. Ebenda. ↩︎

Ein Kommentar

  1. Nachtrag zu Fromm: Über Freiheit

    Was also bedeutet Freiheit für den heutigen Menschen? Er
    hat sich von äußeren Fesseln befreit, die ihn daran hindern
    könnten, das zu tun und zu denken, was er für richtig hält. Er
    möchte die Freiheit haben, nach seinem eigenen Willen zu han-
    deln, wenn er nur wüßte, was er will, denkt und fühlt. Aber
    eben das weiß er nicht. Er richtet sich dabei nach anonymen
    Autoritäten und nimmt ein Selbst an, das nicht das seine ist. Je
    mehr er das tut, um so ohnmächtiger fühlt er sich, um so mehr
    sieht er sich gezwungen, sich anzupassen. Trotz allem dick
    aufgetragenen Optimismus und trotz aller äußerlichen Initia-
    tive ist der heutige Mensch vom Gefühl einer tiefen Ohnmacht
    erfüllt, so daß er wie gelähmt herannahenden Katastrophen
    entgegenstarrt.
    Oberflächlich gesehen funktionieren die Menschen im wirt-
    schaftlichen und gesellschaftlichen Leben recht gut. Aber es
    wäre gefährlich zu übersehen, wie tief unglücklich sie unter
    dieser beruhigenden Tünche sind. Wenn das Leben seine
    Bedeutung verliert, weil es nicht mehr selbst gelebt wird,
    gerät der Mensch in Verzweiflung. Die Menschen sterben nicht
    ruhig den körperlichen Hungertod, und sie sterben auch nicht
    ruhig den seelischen Hungertod. Wenn wir uns um die wirt-
    schaftlichen Bedürfnisse nur soweit kümmern, wie sie den
    »Normalbürger« betreffen, wenn wir das unbewußte Leiden
    des automatisierten Durchschnittsbürgers nicht sehen, dann
    erkennen wir die Gefahr nicht, die unserer Kultur von der
    menschlichen Basis her droht: die Bereitschaft, jede Ideologie
    und jeden Führer zu akzeptieren, wenn er nur etwas Aufre-
    gendes verspricht und eine politische Struktur und Symbole
    anbietet, die dem Leben des einzelnen angeblich einen Sinn
    geben und wieder Ordnung hineinbringen. Die Verzweiflung
    des automatenhaften Konformisten ists. ein fruchtbarer Boden
    für die politischen Ziele des Faschismus.

    Aus: Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, 1941

    Zitatabdruck mit freundlicher Genehmigung des Erich Fromm Literary Estate.

    Lektüre komplett:

    http://www.irwish.de/PDF/Psychologie/Fromm/Fromm-Die_Furcht_vor_Freiheit.pdf

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