Kriegslieder! Zu Klopstocks „300.“

Am 2. Juli 1724 wurde in Quedlinburg am Harz Friedrich Gottlieb Klopstock geboren. Bis zum heutigen Tag ist er wohl einer der am heftigsten umstrittenen Dichter der deutschen Aufklärung. Da er sich dem kalten Rationalismus verweigerte, wird er von uns weltweisen Nachgeborenen mit überlegen-mitleidigem Lächeln gern in die Ecke der „Empfindsamkeit“ abgeschoben.

Ja, Klopstock hat Empfindsamkeits-Lyrik geschrieben, es sind Perlen der deutschen Poesie darunter. Ja, sein „Messias“ ist heute schwer verdauliche Kost, aber die Hexameter der ersten drei Gesänge dieses Epos‘ (1748) sind immer noch für alle mit auch nur einem klitzekleinen Quentchen Sprachgefühl Gesegneten atemberaubend. Nebenbei gesagt, die darin skizzierte Kosmologie berührt sich durchaus mit gegenwärtigen Diskussionen in der Astrophysik über die Themen der Schönheit und Harmonie physikalischer Gesetze. Wissenschaftsfeindlich, wie ihm manche schon zu Lebzeiten unterstellten, war Klopstock nicht. Und mit dem Konzept „Die deutsche Gelehrtenrepublik“ legte er 1774 eine Utopie vor, deren geistiger Kern heute wieder ernsthaft befragt werden sollte. Goethe nahm sie als einer der wenigen Intellektuellen seiner Zeit ernst und nannte die Schrift die „einzige Poetik aller Zeiten und Völker“.

1792 wurde Klopstock Ehrenbürger der Französischen Republik, wie übrigens Schiller auch, dem das aber zu dem Zeitpunkt, als ihn der Ehrenbürgerbrief endlich erreichte, ziemlich peinlich war. Klopstock wandte sich zwar auch 1793 entsetzt vom jakobinischen Terror ab, seinen Prinzipien wurde er aber nicht untreu…

Friedrich Gottlieb Klopstock starb am 14. März 1803 in Hamburg. Er hat mithin das blutige 18. Jahrhundert – unserem 20. und dem gerade erst begonnenen 21. in dieser Hinsicht nicht unähnlich … – fast vollständig durchleben können. Durch sein Werk zieht sich das Thema „Krieg“ wie ein roter Faden. Und das Entsetzen über das Erlebenmüssen der Metamorphose des bejubelten Hoffnungsträgers Frankreich zum blutsaufenden Ungeheuer wird an zwei Texten sichtbar, die er 1798 in Band 2 seiner „Oden“ veröffentlicht hat. Ich meine, diese beiden Texte sind auf eine fürchterliche Weise aktuell. Er nennt Frankreichs Namen in beiden nicht, man könnte heute den eines anderen Landes einsetzen, von dem viele fortschrittlich Gesinnte immer noch glauben, dass es nur den Frieden im Sinne habe, weil es doch seinerzeit – wie der Dichter schreibt – „das Unthier zähmte“ …

Die Krieger
Des Kriegers Grösse? Ja, wenn er für Freyheit kämpft,
Oder wider ein Ungeheuer,
Das mordet, mit der Kett‘ umklirrt; so ist der Held
Edler Mann, verdienet Unsterblichkeit!

Aber wenn er nichts mehr,
Denn Eroberer ist,
Ruhm ihn drommetet; gerechter ihn Schandsäulen
Verewigten […]

Der Erobrungskrieg
[…]
Also freut‘ ich mich, dass ein grosses, mächtiges Volk sich
Nie Eroberungskrieg wieder zu kriegen entschloss;
Und dass dieser Donner, durch sein Verstummen, den Donnern
Anderer Völker, dereinst auch zu verstummen, gebot.
Jetzo lag an der Kette das Ungeheuer, der Greuel
Greuel! itzt war der Mensch über sich selber erhöht!

Aber, weh uns! sie selbst, die das Unthier zähmten, vernichten
Ihr hochheilig Gesetz, schlagen Erobererschlacht.
[…]

In dieselbe Ausgabe nahm er übrigens auch die beiden berühmten Oden auf, die er 1789 und 1790 als Lobpreisung der Französischen Revolution – und der ihr unmittelbar vorhergehenden amerikanischen! – schrieb. Diese Gedichte lassen sich als unverblümte Aufforderung lesen, den großen Vorbildern gefälligst nachzufolgen … Wie gesagt, 1798 hatten da andere über ihre sturm-drängerischen jugendlichen Verirrungen schon den Mantel schamvollen Verschweigens gelegt und schrieben ihr Frühwerk um. Der sture Alte aus Quedlinburg nicht. Mir nötigt das immer noch Bewunderung ab. Darum sollen die beiden Oden hier ungekürzt aufgenommen sein.

„Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen – Nein …“, notierte Lessing bereits 1753. Ich meine, Klopstock wieder aus den Tiefen des Bücherschranks auszugraben ist ein lohnendes Unterfangen.

Kennet euch selbst

Frankreich schuf sich frei. Des Jahrhunderts edelste Tat hub
Da sich zu dem Olympus empor!
Bist du so eng begrenzt, daß du sie verkennest, umschwebet
Diese Dämmerung dir noch den Blick,
Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen, und finde
Etwas darin, das ihr ferne nur gleicht,
Wenn du kannst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie
Unsere Brüder die Franken; und wir?
Ach ich frag, umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget
Euer Schweigen? bejarhter Geduld
Müden Kummer? oder verkündet es nahe Verwandlung?
Wie die schwüle Stille den Sturm,
Der vor sich her sie wirbelt, die Donnerwolken, bis Glut sie
Werden, und werden zerschmetterndes Eis!
Nach dem Wetter, atmen sie kaum die Lüfte, die Bäche
Rieseln, vom Laube träufelt es sanft,
Frische labet, Gerüch‘ umduften, die bläuliche Heitre
Lächelt, das Himmelsgemälde mit ihr;
Alles ist reg‘, und ist Leben, und freut sich! die Nachtigall flötet
Hochzeit! liebender singet die Braut!
Knaben umtanzen den Mann, den kein Despot mehr verachtet!
Mädchen das ruhige, säugende Weib.

Sie, und nicht wir

An La Rochefoucauld.

Hätt‘ ich hundert Stimmen; ich feyerte Galliens Freyheit
Nicht mit erreichendem Ton, sänge die göttliche schwach.
Was vollbringet sie nicht! So gar das grässlichste aller
Ungeheuer, der Krieg, wird an die Kette gelegt!
Cerberus hat drey Rachen; der Krieg hat tausend: und dennoch
Heulen sie alle durch dich, Göttin, am Fesselgeklirr.
Ach mein Vaterland! Viel sind der Schmerzen; doch lindert
Sie die heilende Zeit, und sie bluten nicht mehr.
Aber es ist Ein Schmerz, den sie nie mir lindert! und kehrte
Mir das Leben zurück; dennoch blutet‘ er fort!
Ach du warest es nicht, mein Vaterland, das der Freyheit
Gipfel erstieg, Beyspiel strahlte den Völkern umher:
Frankreich wars! du labtest dich nicht an der frohsten der Ehren,
Brachest den heiligen Zweig dieser Unsterblichteil nicht!
O ich weiss es, du fühlest, was dir nicht wurde; die Palme,
Aber die du nicht trägst, grünet so schön, wie sie ist,
Deinem kennenden Blick. Denn ihr gleicht, ihr gleichet die Palme,
Welche du dir brachst, als du die Religion
Reinigtest, sie, die entweiht Despoten batten, von neuem
Weihtest, Despoten voll Sucht Seelen zu fesseln! voll Blut,
Welches sie strömen liessen, so bald der Beherschte nicht glaubte,
Was ihr taumelnder Wahn ihm zu glauben gebot.
Wenn durch dich, mein Vaterland, der beschornen Despoten
Joch nicht zerbrach; so zerbrach das der gekrönten itzt nicht.
Könt‘ ein Trost mich trösten; er wäre, dass du vorangingst
Auf der erhabenen Bahn! aber er tröstet mich nicht.
Denn du warest es nicht, das auch von dem Staube des Bürgers
Freyheit erhob, Beyspiel strahlte den Völkern umher;
Denen nicht nur, die Europa gebar. An Amerika’s Strömen
Flamt schon eigenes Licht, leuchtet den Völkern umher.
Hier auch winkte mir Trost, er war: In Amerika leuchten
Deutsche zugleich umher! aber er tröstete nicht.

Die Rechtschreibung der Klopstock-Texte folgt der Druckfassung des Jahres 1798.

(3. Juli 2024)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert