von Wolfgang Brauer
Nachdem Markus Söder begriffen hat, dass niemals nie ein CSU-Chef Bundeskanzler mit dem gemeinsamen Ticket der Unions-Parteien werden wird – der letzte einigermaßen aussichtsreiche Kandidat hieß Franz-Josef Strauß, er scheiterte 1980 gegen Helmut Schmidt; Edmund Stoiber 2002 war eher ein müder Versuch… –, warf er heute das Handtuch. Auf einer Mini-Pressekonferenz mit CDU-Chef Friedrich Merz. Vor den Mikros standen ein Gewinner und ein traurig-tapferer Verlierer, beide mimten die große Verbrüderung. Armin Laschet wird sich wohl in aller Stille einen guten Tropfen eingeschenkt haben.
Für einen kurzen Moment hatte ich Mitleid mit dem armen Söder. Der Mann muss in den letzten zwei Wochen die Hölle durchgemacht haben. Aber Politik ist nun mal so. Auch Söder räumte seine Mitbewerber – Konkurrenten sagt man nicht, und politische Gegner sind prinzipiell nur bei anderen Parteien zu finden… – immer gnadenlos aus dem Weg.
Zum Ritual gehören nach gehabtem Wegräumen störender Parteifreunde Bekundungen mit ehernem Gesicht, das betont den Siegeswillen, über die endlich erfolgte Herstellung von Einheit und Geschlossenheit.
Dass Michael Kretschmer aus Sachsen sich darüber freut, ist noch nachvollziehbar. Der Mann erfuhr eine frühe Ostsozialisation und kennt das noch aus dem Staatsbürgerkundeunterricht. Wenn aber ein originaler Wessi wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner erklärt, man werde nun „mit großer Geschlossenheit […] kämpfen“, merkt man als ehemaliges SED-Mitglied – ja, das war ich einstens! – doch auf. Niemals hätte ich vermutet, dass der Einfluss des Genossen Horst Dohlus, Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, bis nach Spandau reichte! Man erinnere sich: 1988/1989 stand Dohlus an der Spitze der Aktion zum „Umtausch der Dokumente“ (das waren die Parteimitgliedsbücher) zum Zwecke der Herstellung von „Einheit und Geschlossenheit“. De facto war das der letzte Versuch, eine „Säuberung“ in den Reihen der SED vorzunehmen. Plant die CDU etwa einen „Dokumentenumtausch“?
Denkbar wäre es. Auch in ihrer Mitgliedschaft gibt es immer lauter werdende „Meckerer und Kritikaster“. Das Copyright auf dieses Begriffspaar gebührt allerdings dem Lord Voldemort der deutschen Geschichte. Den Namen dieses großen Parteireinigers spricht man aber nicht aus.
Wie seinerzeit nach dem Abdruck des richtungweisenden Dohlus-Referats im Neuen Deutschland kamen auch heute über dpa und Tagesschau die großen Ergebenheitsadressen. Alle potenziellen „Mitbewerber“, deren Kandidaturpläne von der Entourage Merz‘ aus dem Weg geräumt wurden, freuten sich natürlich und gratulierten brav. Auch die stillen Frondeure aus Kiel und Düsseldorf. Den Vogel schoss aus meiner Sicht aber der unglückliche Mario Voigt aus Thüringen ab. Auch hier schadet Erinnerung nicht: Voigts Aufstieg verdankt sich Angela Merkel, die im Februar 2020 mit einem kurzen Anranzer seinen Vorgänger Mike Mohring zurückgepfiffen hatte, nachdem der sich zu eng mit der AfD einlassen wollte, um Bodo Ramelow das Amt zu vermiesen.
Heute nun erklärte Prof. Dr. Voigt: „Gemeinsam mit Friedrich Merz wird es uns gelingen, die Interessen Ostdeutschlands noch stärker in den Mittelpunkt unserer Politik zu rücken.“ Seit wann die Interessen Ostdeutschlands im Mittelpunkt der CDU-Politik stehen, wird der bewährte Politikwissenschaftler uns sicherlich irgendwann verraten. Im Moment weiß das keiner. Im Mittelpunkt der politischen Pläne von Friedrich Merz stehen sie unter Garantie nicht. Aber vielleicht hat Merz auf dem Weg nach Erfurt – einmal wird es auch da eine Ministerpräsidentenvereidigung geben müssen – sein Damaskus-Erlebnis.
Bis dahin gilt die Einschätzung der Linkspartei-Vorsitzenden Janine Wissler: „Kaum jemand in der CDU verkörpert so sehr den Typus des Rückwärtsgewandten wie Merz.“ Und kaum jemandem dürfte der Osten so egal sein. Logisch, die Wahlen werden im Westen gewonnen… Aber auch da ist Friedrich Merz nicht sonderlich populär. Die jüngsten Umfragen verorten ihn bei mickrigen 26 Prozent Wählerzustimmung, das ist genauso peinlich wie die Werte von Bundeskanzler Olaf Scholz, der jüngst aber von 24 auf 26 Prozent kletterte. Merz liegt damit unter den Werten der eigenen Partei, bei Olaf Scholz ist es umgekehrt.
Hübsch ist Scholzens Reaktion auf die heutige Meldung: „Es ist mir recht, wenn Herr Merz der Kanzlerkandidat der Union ist.“ Das ist ein Schneewittchenapfel. Aber ich verstehe den Kanzler. Er hatte bei dieser Äußerung ein beinah fröhliches Gesicht… Die CDU hat heute verkündet, dass sie genau genommen nicht gewinnen will.
(17. September 2024)