Erinnerungen an Bettina Olbrich

von Ulrich Kaufmann


Bettina Olbrich mit Harald Gerlach.
Foto: Annegret Gerlach

Am 28. Oktober 2024 starb die Theaterdramaturgin Bettina Olbrich nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 68 Jahren. Geboren wurde sie 1956 in Burg (Spreewald). Bis zu ihrem letzten Lebenstag tat sie alles, um den schriftstellerischen Nachlass ihres Mannes Harald Gerlach zu sichten und zu ordnen. Dies sah sie als wichtigste Aufgabe ihres Rentnerinnendaseins an. Als Schwerkranke musste sie noch von Leimen (bei Heidelberg) nach Schwetzingen umziehen. Eine Postkarte zeigt, dass sie versuchte, auch dies mit Humor zu nehmen. Sie mietete eigens ein zusätzliches Zimmer an, um sich ungestört den Papieren Gerlachs widmen zu können.

Bettina Olbrich und Harald Gerlach haben sich 1986 am Rudolstädter Theater kennengelernt. Sie war, nach dem Studium der Theaterwissenschaft in Berlin, dort als Dramaturgin tätig. Er kam gemeinsam mit dem neuen Intendanten Manfred Heine aus Erfurt. Gerlach fungierte als künstlerischer Berater seines Freundes aus Erfurter Zeiten. Die Vorwendejahre waren bewegt. Neue Pläne und Ideen wurden nach wie vor von der Zensur und durch andere Behinderungen torpediert. Im Januar des Wendejahres 1989 hatte das Rudolstädter Theater mit Georg Seidels Stück „Carmen Kittel“ einen Erfolg, der überregional wahrgenommen wurde. Regie führte seinerzeit Constanze Lauterbach. Dramaturgisch begleitet wurde diese Inszenierung von Bettina Olbrich. Der Intendant Manfred Heine konnte nicht einmal eine ganze Spielzeit in der Saale-Stadt arbeiten. Dies bedrückte die Dramaturgin. Bettina Olbrich ging – gemeinsam mit dem fünfjährigen Sohn Jakob – für kurze Zeit nach Rostock, an das dortige Volkstheater.

Nach der Wende erhielten die Gerlachs mit ihren drei Söhnen endlich eine angemessene Wohnung in Rudolstadt. Bereits 1992 musste die Familie dieses Domizil verlassen. Nach 1945 – als der fünfjährige Harald seine schlesische Heimat verlor –, kehrte er nun mit den Seinigen der Thüringer Wahlheimat den Rücken.

Unterschlupf fand die Familie in einem alten Weinbauernhaus in dem Städtchen Leimen in Baden- Württemberg. Einen guten Tropfen liebten die Gerlachs: Nun hatten sie einen kleinen Weinkeller. Die theatererprobte Bettina Olbrich konnte eine Stelle am Heidelberger Theater finden. Auch als Lektorin im Verlag Beltz & Gelberg war sie tätig. Im Jahre 2005, vier Jahre nach dem Tode ihres Mannes, gab sie dessen Schiller-Biographie: „Man liebt nur, was einen in Freyheit setzt“ heraus. Aus einem nachgelassenen Fragment wurde ein streitbares Buch, in dem Gerlach eigene Thesen zu Friedrich Schiller formulierte. Auch Schiller hatte – zwei Jahrhunderte vor Gerlach – in Rudolstadt seine Ehefrau gefunden.

Die Familie lebte auch davon, dass Gerlach über 80 Hörbilder zur Literatur- und Kulturgeschichte für den Süddeutschen Rundfunk (SDR) erarbeitete. Immer wieder war Bettina Olbrich die erste, kritische Leserin. In Phasen, in denen sie arbeitslos war, half sie ihrem Mann auch bei diesem Großprojekt. Vor allem unterstützte sie ihn bei den umfangreichen Recherchearbeiten.

Es würde den Rahmen dieser kleinen Erinnerung sprengen, wollte man nur auflisten, was die Frau des Dichters für das Werk ihres Mannes getan hat: Noch im Sterbejahr Gerlachs konnte 2001 der Roman „Blues Terrano“ im Berliner Aufbau-Verlag erscheinen. Bettina Olbrich und der Lektorin Angela Drescher gelang es in härtester Arbeit, aus einem Fragment einen lesenswerten Erzähltext herzustellen.

Zur Leipziger Buchmesse 2010 legten Bettina Olbrich und Ulrich Kaufmann den Band „aber du, der ich war“ vor, der 100 Porträtgedichte Harald Gerlachs präsentiert. Das Buch „Verlegtes wiedergelesen – So ist alles gesagt“, das Gerlach-Texte von 1972-2000 enthält, erschien im gleichen Jahr. Die Herausgeberin Bettina Olbrich hat diese Edition ihren Söhnen Jakob, Josef und Justus gewidmet. Das Vorwort steuerte Ingo Schulze bei, ein Autor, der sich große Verdienste um das Literaturstipendium „Harald Gerlach“ des Freistaats Thüringen erwarb, als er anlässlich der Verleihung des Thüringer Literaturpreises 2007 sein Preisgeld für die Schaffung eines Landesliteraturpreises stiftete.

Wer mehr über die lebensfrohe, solidarische und vor allem tapfere Bettina Olbrich wissen möchte, der lese das umfangreiche Gespräch, das in dem Band „Von der Welthaltigkeit der Provinz – Studien und Stimmen zu Harald Gerlach“ (2024) zu lesen ist. Viele Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen melden sich hier zu Wort. Auch ein Brief Christa Wolfs an Bettina Olbrich ist dort zu finden. Das Buch enthält Eingangs den Zusatz „Unter Mitarbeit von Bettina Olbrich“. Lange hat sie dieser Ergänzung nicht zugestimmt. Ihr Ja-Wort gab die kluge und gründliche Mitstreiterin, als sie sah, dass alle Facetten des Gerlachschen Werkes in dem reich bebilderten Band angemessen dargestellt sind.

Bettina Olbrich hat am 28. November auf dem Römhilder Friedhof neben ihrem Mann die letzte Ruhestatt gefunden.

Literaturtipp:
Ulrich Kaufmann (Hrsg.): „Von der Welthaltigkeit der Provinz“. Studien & Stimmen von & über Harald Gerlach. Unter Mitwirkung von Bettina Olbrich, quartus-verlag, Bucha bei Jena 2024, 292 Seiten, 24,90 Euro.

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