Ein dickes Brett

von Heinz Jakubowski

Sich mit diesem Thema befassen, heißt ein dickes Brett zu bohren. Merkt man doch alsbald, dass es mit der Definition und dem Jonglieren der beiden hier in Rede stehenden Begriffe nicht getan ist, welche zwei Seiten der Ethik erfassen: Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Ein dickes Brett ist das nicht so sehr ihrer beider Definitionen wegen, vielmehr ihres Bezuges zueinander, ihre einerseits komplementäre Bedingtheit, in praxi zugleich aber auch ihre Widersprüchlichkeit bis hin zur Gegensätzlichkeit.

Die Rede ist von einer hier zu empfehlenden Schrift, die bereits mehr als 100 Jahre auf dem Buckel, aber dennoch an Relevanz nichts verloren hat: Max Webers, des namhaften Soziologen Vorlesung aus dem Jahr 1919: „Politik als Beruf“. Verantwortungsethik, so Weber, sei ein politisch-moralisches Prinzip, das die Frage nach der Verantwortbarkeit der Resultate und der Folgen (politischen) Handelns als einzigen Maßstab gelten lässt. Für die Gesinnungsethik sei der einzige Maßstab politischen Handelns die – oft genug gläubige – Überzeugung bzw. Meinung. Ein Meinen, von dem Kant schon relativierend sagte, dass es „ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten“ sei.

Nun ist es keineswegs so, dass Verantwortungs- und Gesinnungsethik zwangsläufig Antipoden wären. Weber nennt sie „Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen.“ Die Urteilsfindung in den jeweiligen Kontexten macht eine solche Dialektik nicht eben leichter; ein dickes Brett ist also für den zu bohren, der in Bezug auf eine solche Gemengelage urteilend den Daumen zu  heben oder zu senken hat.  Denn natürlich ist jedem eine eigene politische Haltung, also Gesinnung zuzubilligen. Und grundsätzlich gehört zu einer solchen ein echtes oder mindestens vermeintliches Verantwortungsbewusstsein. Schließlich folgt auch eine „erste Hilfe“ in Notfällen einem Verantwortungsgefühl des Helfenden; eine final noch ausstehende und unumgängliche Behebung des vorliegenden Schadens bleibt davon aber unbenommen.

In der politischen Praxis leicht wahrnehmbar allerdings ist eine häufige und also beliebte Verengung des Zeithorizonts besagter Verantwortung auf das nur nächstliegend und, so Weber, subjektiv „Nützliche“. Das macht daraus folgernde Haltungen gewiss nicht pauschal verwerflich, reduziert Verantwortung als ethisches Handeln aber eben zu purer Pragmatik. Herodots überlieferter Mahnung, nach der wer etwas tut, dies klug tun und das Ende bedenken möge, wird das nicht gerecht. Weber weist in diesem Zusammenhang auf die auffällige Spezies der nur zu kurz oder gar demagogisch denkenden Politakteure hin: „…wenn da  p l ö t z l i c h die Gesinnungspolitiker massenhaft ins Kraut schießen mit der Parole: ‚die Welt ist dumm und gemein, nicht ich, sondern die anderen, in deren Dienst ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemeinheit ich ausrotten werde‘, so sage ich offen, daß ich zunächst einmal nach dem Maße des inneren Schwergewichts frage, was hinter dieser Gesinnungsethik steht, und den Eindruck habe: daß ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln zu tun habe, die nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen, sondern sich an romantischen Sensationen berauschen“. Während Verantwortungsethiker für Max Weber einer ist, der sich nicht nur einer Sache verantwortlich fühlt, sondern immer auch, „daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat“, fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür verantwortlich, „daß die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z.B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.“

Nicht nur beiläufig verweist Weber dabei auf eine nicht unwesentliche Erfahrung in der Gemengelage der Gesinnungsethik: die Macht der Eitelkeit, namentlich bei „Glaubenskämpfern“. Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind habe daher der Politiker täglich und stündlich zu überwinden: „die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz, sich selbst gegenüber.“ Freilich, Eitelkeit, so konzediert er, ist eine sehr verbreitete Eigenschaft, von der kaum jemand ganz frei ist, zumal bei jemandem wie einem nach Macht strebenden Politiker oder einem sendungsbewussten Journalisten. „Die Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufes aber beginnt da, wo dieses Machtstreben u n s a c h l i c h und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung wird, anstatt ausschließlich in den Dienst der ‚Sache‘ zu treten. Denn es gibt letztlich nur zwei Arten am stärksten in Versuchung, eine von beiden, oder beide zu begehenden Todsünden auf dem Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft, aber nicht immer damit identisch – Verantwortungslosigkeit. Die ‚Eitelkeit‘, das Bedürfnis selbst möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, führt den Politiker, am stärksten in Versuchung, eine von beiden oder beide zu begehen. Umso mehr, als der Demagoge auf ‚Wirkung‘ zu rechnen gezwungen ist…“

Dass alle Facetten solcher Präsentation von Politik und Politjournalismus auch reichlich hundert Jahre nach Max Webers Analyse  anzutreffen und zu erkennen sind, muss nicht besonders expliziert werden. Kurzsichtige Forderungen an die Ukraine etwa, vor dem russischen Aggressor zu kapitulieren, wären hier ebenso zu nennen wie die permanenten Untergrabungsversuche der demokratischen Verfasstheit unseres Gemeinwesens durch rechte, linke und auch „mittige“ Protagonisten.

Max Webers Text ist im Internet abrufbar unter:
https://www.projekt-gutenberg.org/webermax/polberuf/polberuf.html.

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