Die Illuminierten oder Wem’s der Herr gegeben

von Heinz Jakubowski


Ernst Barlach: Der Zweifler (1937). Foto: Wolfgang Brauer/2005

Ach nein, sich als Erleuchteten zu bezeichnen fiele ihm sicher nicht ein, er mochte keine Definitionen für das, was er allerdings aber doch wirklich war. Die Bezeichnung eines Sehers hätte er dagegen eher, wenn auch nicht ohne Augenzwinkern, akzeptiert. Denn es half ja alles nichts – nahezu immer hatte er mit seinen Einschätzungen gesellschaftlicher Vorgänge und Perspektiven recht. Lange Zeit war das sogar ganz offiziell beglaubigt, da sich seine Urteile mit denen der politischen Führung seines Landes so deckten, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen passte.

Das war nun irgendwann abhandengekommen und anders geworden. Aber auch wenn seine seherischen Fähigkeiten nun oppositioneller Natur waren – recht hatte er auch weiterhin, egal ob im verbalen oder publizistischen Kontext; ja, jetzt vielleicht mehr denn je.

Dass ihm nicht alle, zumindest nicht auf gleichem, also extrem hohem Niveau folgen konnten, lag in der Natur der Unvollkommenheiten des Menschen. Ihn focht das also nicht an. Er nahm es nicht übel, dass er allen haushoch überlegen war, sondern konzentrierte sich nach wie vor geduldig auf argumentativ geschliffene Überzeugungsarbeit, durchweg gegründet auf besagter Durch- und Weitsicht.

Gewiss, manchmal juckte ihm doch ein wenig das Fell, wenn er in der medialen Öffentlichkeit auf andersmeinende und vor allem begriffsstutzige Ansichten stieß. Und ja – es konnte vorkommen, dass er solches mit, wie er meinte, equilibristischer Ironie qualifizierte. Aber auch wenn diese nicht eben seine Stärke war – entscheidend blieb seine unerschütterliche Gewissheit, dass er recht hatte. Dafür brauchte er nicht einmal einen Hinweis auf seine mehrfachen akademischen Meriten – im regelrechten Kontrast zu seinen – ach doch: illuminatorischen Fähigkeiten pflegte er diesbezüglich demütige Bescheidenheit.

Nun brachten es die Umstände mit sich, dass die Reichweite seiner publizistischen Erleuchtungen umso kleiner wurde, je mehr sich vor allem die Reihen der gleichgesinnten Langzeitgenossen biologisch ausdünnten und bei Nachwachsenden (außer den Pubertären) das Interesse schwand, man sich dort vielmehr zunehmend bemühte, sich – so unvollkommen auch immer – ein eigenes Weltbild zu verschaffen.

Sicher, all das ging auch an ihm nicht schmerzfrei vorbei. Aber er war Anthropologe genug, um die Schuld auch daran besagter Unvollkommenheit der Schöpfung zuzuschreiben. Eine ausgewiesene Mitgliedschaft in einer Organisation brauchte es für ihn und die Seinen nicht. In der ersten Lebenshälfte sowieso nicht, da das Erleuchtetsein damals Staatsraison war. Und später war das auch entbehrlich, da sich die Begnadeten dank des Stallgeruchs von Illuminaten erkannten und – etwa in unverfänglichen Publikationen – zueinanderfanden.

Waren etwa Goethe, Herder, Knigge oder Pestalozzi als Mitglieder der namensgebenden Geheimgesellschaft gezwungen, ihre aufklärerischen Ambitionen im Geheimen zu bereden, so praktizieren die heute Verbliebenen das Gegenteil – sie publizieren, von der Vielfalt oft gewählter Pseudonyme samt gelegentlichem Geschlechtswechsel oder Doktortitel abgesehen, mit offenem Visier und auf Teufel komm raus, obwohl die Mainstream-Diktatur das ja eigentlich gar nicht zulässt. Sie sind mit sich auf wunderbare Weise im Reinen. Und so sie noch nicht gestorben sind, so erleuchten sie uns unverdrossen.

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