Blauer Himmel über Thüringen – Meine Wahlanalyse

Einer der ersten, der Entwarnung gab und die CDU auf der Siegerstraße verortete, war am Wahlabend der Erfurter Oberbürgermeister-Kandidat Andreas Horn (CDU), der mit 28,3% deutlich vor dem bisherigen Amtsinhaber Andreas Bausewein (SPD) liegt, der nur 22,7% einfuhr. Aber beide müssen im 9. Juni in die Stichwahl, und es ist keineswegs ausgemacht, dass Horn das Rennen macht. Andreas Horn liegt mit seinem Ergebnis auch nur 1,1% über dem Landesdurchschnitt seiner Partei, die allerdings – sekundiert vom Berliner Konrad-Adenauer-Haus – noch am frühen Wahlabend die Siegesposaunen ertönen ließ.


An der Saale hellem Strande… ©Wolfgang Brauer/2024

Wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange starrte am 26. Mai das politische Deutschland auf die ersten Zahlen aus den Wahlzentren der thüringischen Kommunalwahlen. Die waren ziemlich unisono zum Indikator der am 1. September bevorstehenden Landtagswahlen erklärt worden. Bei denen befürchten manche den Durchmarsch der Höcke-AfD und damit den beginnenden Zusammenbruch des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Die Höcke-Fans suhlen sich in solch Prognosen übrigens voller Wonne…

Nichts ist falscher als das. Im Landesdurchschnitt dieser Wahlen liegt die CDU zwar ebenso wie fünf Jahre zuvor mit 27,2% auf Platz 1, allerdings hat sie laut vorläufigem Endergebnis (Stand 29.5.) 0,1% verloren, konnte also ihren Stimmenanteil nicht ausbauen, sondern stagniert. Dass sie immer noch so gut dasteht, hat mit der guten Verortung dieser Partei in den Kommunen zu tun. Bei anderen fehlt die völlig bzw. geht sukzessive verloren. Ruhmlosestes Beispiel sind dafür die Linken, die landesweit mit durchschnittlich 4,9% die größten Verluste ertragen müssen. Die Partei nimmt jetzt mit 9,1% nur noch Platz 4 ein. Dass auch SPD und Grüne zum Teil erheblich Federn lassen mussten, hat sicher mit ihrer generellen – nicht zuletzt personellen – Schwäche im Freistaat und verschwiemelten Wahlaussagen zu tun, die völlig an den Bedürfnissen der Wähler vorbeigingen. Bei beiden dürfte aber auch die Berliner Ampel-Politik bis in die tiefsten Schluchten des Thüringer Waldes Wirkung gezeigt haben.

Ähnliches widerfuhr Thomas Kemmerichs FDP, die in Thüringen nur noch unter „ferner liefen“ (2,6%) rangiert. Immerhin stellt die FDP in Jena bei der bevorstehenden Stichwahl um das OB-Amt mit Thomas Nitzsche (25,3%) den aussichtsreichsten Kandidaten, der seine Mitbewerberin Kathleen Lützkendorf gut zehn Prozentpunkte hinter sich ließ. Dass Lützkendorf von den Grünen kommt, macht darauf aufmerksam, dass in Jena die Besonderheiten des Uni- und Hochleistungstechnologiestandortes zählen und bei Bürgermeisterwahlen – ebenso wie bei den Landräten – die Rolle von Persönlichkeiten nicht hoch genug zu bewerten ist. Sich als links verstehende Parteien unterschätzen das gerne, nominieren ihre „Kandidierenden“ nach der bei ihnen jeweils dominierenden ideologischen Strömung – und landen regelmässig im Straßengraben.

Nun zum eigentlichen Wahlsieger, der heißt in Thüringen eindeutig AfD, auch wenn die im Durchschnitt zur CDU immer noch um 1,4 Punkte zurückliegt. Die AfD konnte um 8,1% zulegen! Selbst der sehr disparaten Gruppe der „Sonstigen“ – hauptsächlich gehören zu denen diverse freie Wählergruppierungen, manche stehen offenbar kurz vor der Parteienbildung… – gelang nur ein Zuwachs um 4,1%. Allerdings sollte deren Stärke mit immerhin 19,5% den „etablierten“ Parteien mindestens so zu denken geben, wie die trotz aller Skandale der letzten Wochen in der Wählergunst unbeschädigt dastehende AfD. Hier manifestiert sich eine stetig verfestigende Abkehr – nicht von der Politik, eher von den Kräften, die meinen, ein Dauer-Abo auf die Stühle der Macht innezuhaben. Dass im nur schwer durchschaubaren Topf der „Sonstigen“ manches mitkocht, das die Suppe tatsächlich schwer genießbar machen kann, zeigte sich in Hildburghausen.

In Hildburghausen wird es um das Landratsamt eine Stichwahl geben. Sven Gregor (Freie Wähler) verfehlte im ersten Wahlgang mit 42,4% die absolute Mehrheit. Sein direkter Konkurrent heißt Tommy Frenck, der mit 24,9% genau 0,2 Prozentpunkte vor dem CDU-Kandidaten landete. Frenck trat für das „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) an und betreibt in Kloster Veßra das „Sturmlokal Goldener Löwe“. Das sagt eigentlich alles. Man befindet sich zwar in direkter Konkurrenz zur AfD – aber so etwas ist Wählern, die deutlich „rechts“ wollen, eigentlich schnurz.

In der Stadt Gera fehlen den Rechtsextremen Persönlichkeiten wie Tommy Frenck. Dort gehen Kurt Dannenberg (CDU – 33,2%) und der parteilose amtierende OB Julian Vonarb (32,3%) in die Stichwahl. Egal, wer von beiden das Rennen macht, er hat mit der AfD die mit 15 Sitzen im Stadtrat stärkste Fraktion auf dem Hals. Die CDU verfügt nur über sieben. In etlichen Landkreisen ist das Bild ähnlich.

Gera ist kein Einzelfall. In weiteren acht Landkreisen wurde die AfD stärkste politische Kraft: Nordhausen, Unstrut-Hainich-Kreis, Kyffhäuserkreis, Schmalkalden-Meiningen, Gotha, Ilm-Kreis, Sonneberg (hier stellt sie seit Juni 2023 mit Robert Sesselmann deutschlandweit ihren ersten Landrat) und im Altenburger Land. In einigen anderen Kreisen, wie dem Saale-Orla-Kreis, ist der Abstand nur knapp. Egal, wie die noch anstehenden Stichwahlen ausgehen werden: Für die anderen ist der (noch) ausgebliebene „Gipfelsturm“ der AfD auf die Throne der Kommunen kein Grund zum Jubeln. Kommunalwahlen gehorchen einer eigenen Dynamik. Und die AfD – samt den erwähnten Bürgerbündnissen – konnte ihre Wählerbasis deutlich verbreitern.

Was ist nun mit den Landtagswahlen im Freistaat am 1. September?

Die aktuellen Wahlergebnisse scheinen die Umfragewerte zu bestätigen. INSA ermittelte am 1. Mai folgende Werte: AfD 30,0%, CDU 20,0%, BSW und Linke jeweils 16,0%. Die FDP wäre mit aktuell 2,0% nur noch ein landespolitisches Spurenelement. SPD (7,0%) und Grüne (5,0%) müssen um ihre parlamentarische Existenz kämpfen. In Erfurt wird sich auf jeden Fall ein Koalitionskabinett bilden müssen. Ein Zusammengehen von Linken und SPD mit der AfD ist grundsätzlich auszuschließen. Für das BSW wäre auch nur ein Nachdenken darüber – die linken Wagenkecht-Kritiker unterstellen ihr das gelegentlich – das vorzeitige politische Aus.

Damit blieben nach jetzigem Stand nur zwei ernsthafte Optionen: AfD und CDU koalieren (gemeinsam lt. INSA-Berechnungen rund 53% der Stimmen im Landtag) oder es gebe ein Bündnis zwischen CDU, BSW und Linken (56%). Es wird also alles von den Entscheidungen der CDU abhängen. Deren Parteispitze betont in Richtung AfD immer wieder die „Brandmauer“, die man beschlossen habe. Die bröckelt zunehmend. Man müsse doch die Sachfragen bedenken… So fängt es immer an.

Hinsichtlich des BSW halten sich die Bürgerlichen noch zurück. In Sachen Linke wird der Ablehnungston allerdings immer schärfer. Bernhard Vogel, thüringischer CDU-Ministerpräsident von 1992 bis 2003, erklärte am 28. Mai in einer Podiumsdiskussion in Speyer, dass er Bodo Ramelow für „gefährlicher als die AfD“ (bild.de/29.5.2024) halte. Die Parteispitzen der CDU weisen immer wieder auf diverse Unvereinbarkeitsbeschlüsse hin. Einige CDU-Ministerpräsidenten sehen das inzwischen etwas anders, Daniel Günther aus Schleswig-Holstein beispielsweise („Linke und AfD kann man nicht miteinander gleichsetzen.“ – tagesschau.de/3.5.2024). Generalsekretär Carsten Linnemann beharrte zeitgleich auf dem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen links, den auch Parteichef Merz nicht müde wird gebetsmühlenartig zu zitieren.

Was nun? Ich bin mir ziemlich sicher: Im Herbst wird es bundesweit die erste Landesregierung unter einem AfD-MP geben. Möglicherweise in Sachsen, mit ziemlicher Sicherheit aber in Thüringen. Schließlich müsse man den Freistaat regierbar halten – und die Rechtsextremen daran hindern, Schlimmes zu tun. Das werde aber nur gehen, wenn man in der Regierung mittue. So oder so ähnlich wird es dann seitens der CDU-Granden tönen.

Wetten wir?

(30. Mai 2024)

Ein Kommentar

  1. Dem analytisch gründlichen und schon deshalb sehr lesenswerten Beitrag ist mit Blick auf seine Prognose ein größtmöglicher Irrtum zu wünschen.

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