Berlin ist älter als gedacht … 10.000 Jahre Siedlungsgeschichte an der Wuhle

Das Grabungsareal Biesdorf-Süd/8. April 2005. Foto: W. Brauer

Die Landschaft links und rechts der Wuhle gilt als eine der archäologisch fundträchtigsten Berlins. Immer wieder kam es in den letzten Jahrzehnten zu beachtenswerten Grabungsergebnissen.

Im Zuge der Erschließung der Großsiedlung Marzahn-Hellersdorf 1976 bis 1979 wurden germanische Siedlungsreste aus der frühen Eisenzeit (um 500 v.u.Z.) sowie Siedlungsbelege bis hin zur frühslawischen Zeit aus dem 7. bzw. 8. Jahrhundert auf dem Areal westlich des Blumberger Dammes und östlich der Wuhle gesichert. Auch das inzwischen durch einen archäologischen „Denkort“ leicht auffindbare „Helwichstorpp“ (das im bereits im 14. Jahrhundert wüst gewordene Hellersdorf) konnte in jenen Jahren ausgegraben werden.

2013 und 2014 schließlich kam es zu einer spektakulären Grabungsaktion auf dem Gelände der „Gärten der Welt“ – auf eben jener Fläche, auf der für die IGA 2017 die Talstation einer Seilbahn und ein weiträumiges Areal für eine Freilichtbühne und den Haupteingang der Schau gestaltet werden sollten, wurden Funde freigelegt, die sich bis in die jüngere Bronzezeit (1300 bis 800 v.u.Z.) datieren lassen. Unsere Heimat war also zur Zeit des Trojanischen Krieges – wenn er denn überhaupt stattfand – bereits besiedelt. Die dort aufgefundenen zahlreichen eisenzeitlichen Artefakte lassen sich mit großer Sicherheit gleichsam als eine Art frühgeschichtliches „Gewerbegebiet“ der in den 1970er Jahren in unmittelbarer Nähe gefundenen germanischen Siedlungen interpretieren.

Ausgrabungen auf dem IGA-Gelände: Vor dem Spaten kommt erst das Boden-Radar (21. Mai 2014). Foto: W. Brauer

Immer wieder auftauchende Zufallsfunde, auch sogenannte „Streufunde“ (die sich nicht nach den heute üblichen Vermessungsmethoden zuordnen lassen) verweisen immer wieder auf die lang anhaltende Kontinuität menschlicher Aktivitäten in und um die Wuhleniederung. Entlang der Wuhle wurden in den letzten Jahrzehnten mehr als 100 Fundstellen dokumentiert. Die spektakulärsten Funde sind sicherlich die mesolithische Hirschgeweihmaske (ca. 9000 bis 8000 Jahre v.u.Z.), die 1953 bei Schachtarbeiten an der Heesestraße in Biesdorf-Süd aus einem alten Moorareal auftauchte und eine Goldmünze (215 u.Z.) mit dem Porträt des römischen Kaisers Caracalla, die 1925 bei Ackerarbeiten in Biesdorf zum Vorschein kam. Nun sind römische Münzfunde an sich keine Seltenheit, aber so weit weg von den Grenzen des Imperiums ist das schon eine Besonderheit.

Insofern konnte die geplante bauliche Erschließung des Wohngebietes am Habichtshorst in Biesdorf-Süd westlich der Wuhle von der Berliner Landesdenkmalpflege als selten vorkommender Glücksfall wahrgenommen werden. Archäologen brauchen einen Grund, um den Spaten anzusetzen.

Fast alle anderen potenziell ähnlich qualifizierten Areale auf dem Territorium Berlins sind durch die in den vergangenen 200 Jahren erfolgten Bebauungen für die Bodendenkmalpflege und die vor- und frühgeschichtliche Archäologie verlorengegangen.

So war es möglich, in mehreren Grabungskampagnen in der Zeit von 1999 bis 2014 etwa 22 Hektar Fläche auszugraben, zuletzt etwa 13 Hektar zwischen Köpenicker Straße, Apollofalterweg, Kohlweißlingstraße und Habichtshorst. Sukzessive stellte sich heraus, dass es sich um die größte Flächengrabung Berlins handelt. Einige Funde (unter anderem ein Lackprofil der untersuchten Ausgrabungshorizonte aus dem Bereich Habichtshorst/Pollnower Weg) sind in der Dauerausstellung des Marzahn-Hellersdorfer Bezirksmuseums zu besichtigen, ein Kalkbrennofen wurde im Museumspark Rüdersdorf wiedererrichtet. Die meisten Funde schlummern allerdings in den Depots des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin.

Biesdorf-Süd: Ausgrabungszustand 8. April 2005. Foto: W. Brauer

Vieles ist nur schwer deutbar. Man muss die überlieferten Zeugnisse von Ackerbauern und Viehzüchtern zum Sprechen bringen können. In unserer Gegend baute man hauptsächlich mit Holz. Viel mehr als Bodenverfärbungen findet man nach 4.000 Jahren meist nicht. Beispielsweise stießen die Ausgräber auf dem Biesdorfer Grabungsareal auf eine nicht einem Wohngebäude zuzuordnende trichterförmige Pfostenfolge von der seinerzeitigen Siedlungslage in Richtung Wuhle. Erkennbar ist diese Struktur nur aus der Luft oder anhand des Kartenbildes der Ausgrabungsdokumentation. Da die Ausgräber vermuteten, dieses merkwürdige Bauwerk könne etwas mit der Tierhaltung zu tun haben, wurden die Phosphatgehalte des Bodens innerhalb und außerhalb der vermuteten Pfostenumgrenzung gemessen. Innerhalb des Trichters waren diese erheblich größer. Es handelt sich also um eine Anlage zum Viehtrieb zur Tränke an der Wuhle. So etwas konnte bislang noch nirgendwo anders in unserer Region nachgewiesen werden.

.
Biesdorf-Süd/Habichtshorst: Rekonstruktion der germanischen Hofanlage. Foto: W. Brauer (2008)

Es ist sehr zu wünschen, dass die Präsentation dieser spektakulären Funde und ihre Interpretation einen größeren Raum erfährt, als es heute leider der Fall ist. Wie gesagt: Nirgendwo im Berliner Raum kann man eine so lange Siedlungskontinuität einer friedlichen Bauernkultur nachweisen. Die aufgefundenen Waffenreste – lässt man die neolithischen Pfeilspitzen aus Feuerstein beiseite, aber das waren wohl eher Jagdwaffen – stammen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Schon bei der Baufelderschließung der Großsiedlung Marzahn wurden über eine Million Stück Munition und über 4000 Waffen bzw. Waffenteile aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gefunden.

Mein Plädoyer für eine umfangreichere und klügere Präsentation dieser sehr langen und kaum unterbrochenen Siedlungsgeschichte findet auch in den zunehmenden Vandalismus-Spuren im öffentlichen Raum dieses Bezirks eine Begründung: Nur was man kennt, wird man wertschätzen können.

Es gibt dafür ein wundervolles Beispiel. In Vorbereitung einer Ausstellung der Biesdorfer Grabungsergebnisse des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen Berlin und des Landesdenkmalamtes (2. Oktober 2019 bis 15. April 2020) gelang es, die bei der Manege gGmbH im Marzahner Don-Bosco-Zentrum mitwirkenden jungen Menschen für die Ausstellung zu begeistern. Ich finde solche Initiativen unbedingt nachahmenswert. Das Begleitbuch dieser Ausstellung ist zu empfehlen.

„Exploring Biesdorf“ – Jugendprojekt innerhalb der Ausstellung „Berlins größte Grabung. Forschungsareal Biesdorf“ (Neues Museum Berlin, 2.10.2019 – 19.4.2020). Foto: W. Brauer

(9. Juli 2024)

In einer gekürzten Fassung erschien dieser Text in der Juli-Ausgabe 2024 der Zeitschrift „jot w.d. Die Andere aus Marzahn-Hellersdorf“).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert