Tucholsky im TiP

„Kurt Tucholsky: Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“ – Uraufführung im Theater im Palais in Berlin

Vom Untertitel darf man sich nicht abschrecken lassen: „Szenisch-musikalische Lesung“. Das klingt nach Langeweile und Schultheater. Ist es aber nicht. Ildiko Bognar hat einen Text zusammengestellt, der eine andere, sehr ungewöhnliche Sicht auf Kurt Tucholsky aufmacht. Mit bekannten Texten und mit weniger bekannten. Natürlich hangelt sie sich an der schriftstellerischen Biographie entlang, natürlich spielen die Frauengeschichten eine Rolle. Anders geht es nicht. Aber WIE das Ganze vernetzt ist – auch musikalisch von Jürgen Beyer -, das ist schon toll. Inszeniert hat die Chefin selbst. Behutsam, zurückhaltend. Und die beiden Darsteller einfach großartig: Carl Martin Spengler bringt zum Beispiel das Chanson „Der Graben“ auf eine so noch nie gehörte Weise rüber. Nix mit Busch + May. Die sind immer noch beeindruckend, die ganz Jungen dürften damit aber weniger anfangen können. Spenglers Interpretation geht Heutigen unter die Haut… Darauf kommt es an. Und wenn Stefanie Dietrich den „Tamerlan“ gibt und lüstern daherröchelt: „Mir ist heut so nach Tamerlan nach Tamerlan zu Mut…“ – dann liegt das Publikum ihr zu Füßen. Am Schluss schlüpft sie in die Rolle Mary Gerolds („Sie, zu ihm“): „Ich habe dir alles hingegeben…“ Da ist der Rezensent dann ganz, ganz still…

Natürlich ist auch der Tucholskysche Pazifismus Thema. Aber mit dem tat sich Ildiko Bognar etwas schwerer. Das ist einfach nur so dahin behauptet. Klar war Tucho erklärter Feind aller Militaristen. Es ist ganz leicht, ihn sich in kriegerischen Zeiten ans Banner zu heften. Aber er wusste auch, dass man dem Wolf nicht mit schönen Worten beikommt…

Leute, geht da hin, es lohnt sich!

Leider geht das in dieser Spielzeit nur noch am 16. Juni. Schade.

„Kurt Tucholsky: Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“ – Regie: Alina Lieske, Textfassung: Ildiko Bognar; mit Stefanie Dietrich, Carl Martin Spengler, Jürgen Beyer (Piaono).

2 Kommentare

  1. Die letzte Anmerkung Wolfgang Brauers zum Anlaß nehmend, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Tucholsky, wiewohl überzeugter Pazifist, sich diesen keinesfalls in biblischer Deutung vorgestellt hat. Vor allem mit zunehmendem Alter und der bitteren Erkenntnis der schieren Unaufhaltsamkeit des Faschismus, hat er dies unmißverständlich klar gemacht; wenn auch nicht mehr in Publizistika, denn davon hatte er sich resigniert verabschiedet. Bereits 1927 hatte Tucholsky als Ignaz Wrobel aber in seinem Weltbühne-Text „Über wirkungsvollen Pazifismus“ festgestellt „Aber das Recht zum Kampf, das Recht auf Sabotage gegen den infamsten Mord: den erzwungenen – das steht außer Zweifel, Und, leider, außerhalb der so notwendigen pazifistischen Propaganda. Mit Lammsgeduld und Blöken kommt man gegen den Wolf nicht an.“ Und 1935 stellte erer in einem Brief an seine Schweizer Freundin Hedwig Müller klar: „Nichts als Pacifist zu sein – das ist ungefähr so, wie wenn ein Hautarzt sagt: `Ich bin gegen Pickel´“.

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