Sarrazin reloaded?

von Heinz Jakubowski

Politikern wird von enttäuschten Bürgern gern Verlogenheit vorgeworfen, nicht zuletzt, wenn es um scheinbar oder wirklich gebrochene Wahlversprechungen geht. Das ist manchmal zutreffend, manchmal z.B. ob veränderter Umstände auch nicht. Dass Franz Müntefering in dialektischer Umkehrung einmal sogar verlautbart hat, es sei „unfair“, „Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen“, soll an dieser Stelle aber lediglich erwähnt werden.

Als dreist darf allerdings wohl bezeichnet werden, was sich der schwarz-rote Berliner Senat aktuell leistet. Der hauptstädtische Doppelhaushalt 2024/2025 wurde am 14. Dezember 2023, vor erst einem halben Jahr also, verabschiedet. Und ganz im Sinne der absichtsbeschreibenden Überschrift des wiederum ein halbes Jahr zuvor unterzeichneten Koalitionsvertrages – „Das Beste für Berlin“ – sah er etliche Verbesserungen des städtischen Lebens vor. Ein Aufbruch für die Stadt wollte er sein, „sozial, innovativ, verläßlich nachhaltig“: Rien ne va plus. Dafür stünden im besagten Haushalt 39.281.053.500 Euro im Jahr 2024 und 40.907.506.204.100 Euro im Jahr 2025 zur Verfügung.

Stehen sie faktisch aber doch nicht, denn dieser Etat enthält so genannte pauschale Minderausgaben von annähernd vier Milliarden Euro, die umgehend wieder einzusparen sind. Welch Wählertäuschung also, wenn Wohltaten beschlossen und verkündet werden, obwohl die Unmöglichkeit ihrer Finanzierung bereits bekannt ist…

Man mags nicht glauben, aber nun sind wir offenbar in jenen, mit ihren für die Stadt verhängnisvollen, Jahren zurück, in denen, wie der damals Regierende Bürgermeister, die Frohnatur Klaus Wowereit, erklärte, „gespart werden muß, bis es quietscht“. Was es dann auch prompt tat. Einschließlich städtischen Tafelsilbers wie Energieunternehmen oder Wohnungen strich der seinerzeitig berüchtigte Finanzsenator Thilo Sarrazin alles kurz und klein. Die Folgen sind trotz längst gegenläufiger Reparaturen – nicht zuletzt durch teure Rückkäufe – bis heute nicht ausgestanden. Nun soll das Karussell also eine weitere Runde drehen.

„Empfindliche Einsparungen“ wie die nun geforderten seien, so der aktuelle Finanzsenator Stefan Evers (CDU), nur ein „erster Schritt“. Die nächsten Entscheidungen dürften noch härter ausfallen. Schwer vorzustellen, dass dann nicht auch jenes 29-Euro-Ticket wieder sein Leben aushaucht, das im hauptstädtischen ÖPNV am 1. Juli in Kraft trat. „Mit einem unbefristeten 29-Euro-Ticket für alle und einem Sozialticket für 9 Euro wollen wir den ÖPNV als klimafreundliches Fortbewegungsmittel noch attraktiver machen“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Als soziale Wohltat gedacht – was zunächst nicht zu kritisieren ist – hat der Senat sich für dieses Projekt sage und schreibe 300 Millionen Euro Stützung verordnet. Eine Größenordnung, an der keine Einsparung vorbeikommen wird, zumal ein Wegfall dieses Tickets den Nahverkehr ja nicht zum Erliegen brächte.

Wie auch immer: Aus sozialidyllischen Gründen kaum geschaffen, dräut dem 29-Euro-Ticket ein frühestmöglicher Tod; selbst der sachlich argumentierende Ex-Finanzchef des Senats Mathias Kollatz (SPD) hält das für sinnvoll, wenigstens dann, wenn es eine wünschenswert anliegenähnliche Regelung auf Bundesebene gäbe. Die gibt es mit dem „Deutschlandticket“ allerdings. Aber auch das ist dem Vernehmen nach gefährdet. Nicht zuletzt aufgrund des finanzpolitischen Gezerres zwischen Bund und Ländern, Berlin eingeschlossen. Übrigens gilt das „Berlin-Abo“ nur für den unmittelbaren Stadtbereich (Tarifzone AB). Dem kaum mehr händelbaren Pendlerverkehr – das Berliner Umland boomt einwohnermäßig – nutzt es gar nichts. Wer in die Tarifzone C will, muss extra löhnen. Man konnte sich im Vorfeld mit Brandenburg nicht einigen, betreibt aber einen gemeinsamen Verkehrsverbund, den VBB.

Allerdings – der Kollatz-Nachfolger Evers muss eine Vision haben, stellte er in einer „Aktuellen Stunde“ des Abgeordnetenhauses doch fest: „Berlin kann, muss und wird mit weniger Geld funktionieren, und das vielleicht sogar besser.“ Eine Büttenrede, so Beobachter, sei das aber nicht gewesen.

Das Beste für Berlin – nun ja…

Ein Kommentar

  1. Aktuelle Ergänzung aus den Nachrichten:

    „Aufsichtsräte von Berliner Landesunternehmen sollen für ihre Tätigkeit künftig besser vergütet werden. „Mir geht es besonders um die Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit. Fachexpertise muss den Ausschlag geben“, sagte Finanzsenator Stefan Evers (CDU) bei der Vorstellung neuer Grundsätze für die Landesunternehmen.
    Um entsprechende Aufsichtsräte und -rätinnen zu gewinnen, will Evers die Vergütung künftig „an Marktstandards angleichen“. Dabei sollen insbesondere die Aufsichtsratsvorsitzenden einen 110-prozentigen Aufschlag auf die normale Vergütung eines Aufsichtsrates bekommen. Bisher lag der Aufschlag bei 66 Prozent.“

    Nicht dass sich das zu Millionensummen des milliardenweit fehlenden Geldes summiert, eine Art politisches Bubenstück darf das wohl aber doch genannt werden. Sparen, bis es quietscht und dabei diejenigen mit Zusatzgeld zu pampern, die das Quietschen überwachen.
    Wobei überhaupt:
    „Der Aufsichtsrat hat den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Schaden von ihr abzuwenden. Seine Hauptaufgabe ist die Überwachung der Geschäftsleitung“, heißt es im amtlichen Berliner „Merkblatt für Aufsichtsratsmitglieder“.
    Und weiter:
    „Jedes Aufsichtsratsmitglied muss über diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten verfügen, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“
    Hmm…
    Nehmen wir mal die SPD-Senatorin Franziska Giffey als Beispiel. Neben ihrem eigentlich ja wohl auslastendem Regierungsamt ist sie:
    Vorsitzende des Aufsichtsrats der Berliner Stadtreinigung (BSR) (Stufe 1); Vorsitzende des Aufsichtsrats der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) (Stufe 1); Vorsitzende des Aufsichtsrats der Berliner Wasserbetriebe (BWB) (Stufe 1); Vorsitzende des Nominierungsausschusses und des Vergütungskontrollausschusses der Investitionsbank Berlin (IBB) (e); Mitglied des Risiko- und Prüfungsausschusses und des Verwaltungsrats der Investitionsbank Berlin (IBB) (e); Vorsitzende des Nominierungsausschusses und des Vergütungskontrollausschusses der Investitionsbank Berlin Unternehmensverwaltung (IBB UV) (e); Mitglied des Risiko- und Prüfungsausschusses und des Verwaltungsrats der Investitionsbank Berlin Unternehmensverwaltung (IBB UV) (e); 1. Stellvertretende Vorsitzende im Aufsichtsrat der Messe Berlin GmbH (Stufe 1); Mitglied im Beirat der Bundesnetzagentur (e); Mitglied im Kuratorium der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) (e); Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (e).
    In all diesen verschiedenen Branchen bringt Frau Giffey also jene Kenntnisse mit, die es ermöglichen, alle Geschäftsvorgänge sachgerecht zu beurteilen: Respekt! Oder besser: Ehrfurcht!!
    Sicher mag es so sein, dass Aufsichtsräte wirklich als ein sinnvolles demokratisches Instrumentarium agieren, mehr noch aber wohl als Selbstbedienungsladen für Politiker und anderweitige solcher intellektuellen Heroen, für die Frau Giffey hier lediglich als Beispiel dienen soll. Wer Lust und Zeit hat, kann hier die Nebentätigkeiten unserer MdB´s durchforsten – man wird staunen, was sie nebenher alles draufhaben…

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