Erlesenes – Horrorgeschichten

Buchcover/Sammlung Wolfgang Brauer


Heinrich Heine schrieb einmal über das Werk des romantischen Schriftstellers und Komponisten E. T. A. Hoffmann, dass es „nichts anders als ein entsetzlicher Angstschrei in zwanzig Bänden“ sei. Darüber kann man streiten. Vor mir liegt ein Buch, das nun tatsächlich ein einziger Angstschrei ist. Geschrieben hat es Christian Hannig.

Hannig ist eigentlich Reiseschriftsteller. Genauer gesagt durchquert er mit dem Rad die abgelegensten Ecken der Welt und schreibt dann über seine Erlebnisse Bücher. 13 Bände liegen inzwischen vor. Als die Welt ab 2020 begann stiller zu werden, die Covid19-Pandemie machte Reisen lange Zeit fast unmöglich, musste auch Hannig zu Haus bleiben. Plötzlich „ausgebremste“ Menschen packt bei so etwas leicht der Horror, und sie tyrannisieren dann ihre Umwelt. Hannig setzte sich an den Schreibtisch und schrieb den einfach auf. Irgendwie müsssen die eigenen Ängste schließlich raus. Der Bremer Verleger Helmut Donat machte jetzt ein 21 Geschichten umfassendes Bändchen daraus.

Was Hannig allerdings zum Untertitel „Skurrile Geschichten“ getrieben hat, weiß ich nicht. Er ist falsch. Diese Geschichten sind weder bizarr, noch exzentrisch – und die Klassifizierung als „eigenwillig“ ist ein blankes understatement. Diese Texte sind Horror-Erzählungen vom Feinsten, gruselig wie die vom Besten des Genres. Der Autor geht oftmals – so in der Titelgeschichte „Puppenquäler“, aber auch in „Teermensch“ oder „Rache der Ratten“ – an die Grenze des für Leser Ertrag- und Zumutbaren.

Christian Hannig macht aus Albträumen Literatur. Wenn beim großen Stammvater des Genres E. A. Poe die Helden mitunter geradezu sehnsuchtsvoll in den eigenen Untergang treiben, um ihn wissen, aber sich nicht in der Lage sehen ihn aufzuhalten, so findet sich dieses Motiv auch bei Hannig („Nachtzug“). Mitunter winkt Kafka aus der Ferne („Strecker“), dessen artistische Höhe erreicht Hannig allerdings nicht. Muss er auch nicht. Seine Geschichten sind etwas ganz Eigenes.

Ich habe sie in einem Zug durchgelesen – und danach war mir schlecht. Man genieße also das Grauen besser portionsweise. Kriminologen und Forensiker wissen, dass jeder Mensch im Prizip zu allem fähig ist… Manches sollte man tief im Unterbewusstsein deponieren und mit sieben schweren Schlössern sichern.

Der Verlag gab dem 160-Seiten-Büchlein „Humi“-Zeichnungen des Worpsweder Künstlers Pit Morell bei. Die sind wundersam anzuschauen und nun wirklich skurril.

Ein Hinweis an den Autoren sei mir noch gestattet: Streichen Sie bei einer Neuauflage Figurenbewertungen wie „in seiner krankhaften Phantasie“ oder „seine kranke Seele“. So etwas macht eine Geschichte kaputt – der Leser merkt sowieso, dass bei diesen Leuten etwas nicht stimmt. Außerdem: Was ist krank?

Wie gesagt, die Psychologen wissen …

(21. Juni 2024)

Christian Hannig: Puppenquäler. Skurrile Geschichten, Donat Verlag, Bremen 2024, 160 Seiten, 16,80 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert