DDR-Erlebnisse

von Erhard Weinholz

Erhard Weinholz hat lange vor dem Sommer gemeint, man müsse doch etwas zum 75. Jahrestag der DDR machen. Ich fand das gut, kam aber keinen einzigen Anschlag auf der Tastatur voran. Noch einmal sagen, was alle schon gesagt haben, nur man selber nicht? Einstimmen in den Chor der „Aufarbeiter“? Genaugenommen sind es ja zwei Chöre: Einer bejubelt unter Verwendung von viel rot gefärbtem Weihrauch das untergegangene Staatswesen – der andere macht genau das Gegenteil. Kürzlich erfuhr ich, dass in Potsdam ernsthaft der Vorschlag diskutiert wurde, beim Besuch von Schulklassen in der Stasi-Gedenkstätte Lindenstraße einfach mal hinter einem tapferen Schulkind für ganz kurze Zeit eine Zellentür zuschlagen zu lassen. Dann bekämen die Kinder ein Gefühl für Eingesperrtsein. Allen Ernstes. Ich kenne solche Ideen aus der Zeit der parlamentarischen Debatte um das Berliner Mauer-Gedenkkonzept. Nach 1990 hatte ich geglaubt, nach einem Vierteljahrhundert könne man einigermaßen sachlich über die DDR reden und einfach akzeptieren, dass sie mitnichten monochrom darstellbar ist. Aber dem ist nicht so. Inzwischen haben sich anlässlich der äußerst heftigen Auseinandersetzungen um die Zukunft unserer – ja, unserer! – Republik die Kombattanten der DDR als Kriegskeule bemächtigt. Aber Historiker sind potenziell Schreibtischtäter. Die schicken ihre Schüler oder Studenten ins Feld.
Dieser Tage nun hat Erhard Weinholz mir nun doch etwas zu „75 Jahre DDR“ geschickt. Ich finde seine Idee faszinierend. Er stellt sein schönstes DDR-Erlebnis seinem unangenehmsten gegenüber. Das klingt erst einmal wie der Schulaufsatz, den wir alle – im Westen wie im Osten – einmal schreiben mussten. Aber ich meine, das hat etwas … Vielleicht sind die Weinholz-Texte eine Anregung zum Mitmachen? Lange habe ich gegrübelt, ob und wie ich die beiden Texte – Feuilletons vom Feinsten… – „bebildere“. Ich fand schließlich eine Monotypie von Harry Horn, die von der Entstehungszeit und dem abgebildeten Ort genau zu Weinholzens erstem Text passt… (W.B
.)


Harry Horn: o.T., Monotypie (1976). Sammlung W. Brauer

Mein schönstes DDR-Erlebnis

Kurz vor dem kalten Winter 78/79 konnte ich einer prekären Wohnsituation entkommen und in einem maroden Seitenflügel in der Schwedter Straße, Berlin, Prenzlauer Berg, meine erste eigene Wohnung beziehen. Leider fehlte die Zuweisung durch das Wohnungsamt, aber man kann ja nicht an alles denken. Eine Treppe rechts war diese Wohnung gelegen, hatte eine kleine Küche und ein stets etwas dämmriges großes Zimmer. Auf gedieltem Boden standen hier ein lädierter Tisch, ein paar alte Stühle, ein eisernes Bettgestell und ein dreiflügeliger Schrank, das Sofa kam wohl erst später. Als ich meiner Mutter davon erzählte, meinte sie: Kauf dir doch einen Teppich, der kann den Gesamteindruck sehr heben. Das nächstgelegene Einrichtungshaus befand sich am Alex, im Alexanderhaus, und hatte zu der Zeit gerade handgeknüpfte vietnamesische Wollteppiche im Angebot. Die kleineren maßen zwei mal drei Meter, und einer von ihnen gefiel mir ganz besonders: dunkelblauer Grundton – dieses Blau hat bis heute nicht an Farbkraft verloren –, das Muster vorwiegend floral. Kostete 3425 Mark, ich zahlte mit Scheck, und als die Bezahlung erledigt war, sagte der Verkäufer zu mir: Wir danken Ihnen für Ihren Einkauf. Es wird ja mitunter geklagt über mufflige Kellner und unfreundliche Verkäuferinnen in der DDR – ich kann in diese Klagen nicht einstimmen: Von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen bin ich in Läden und Gaststätten immer neutral bis freundlich behandelt worden. Einen solchen Dank aber hatte ich weder vorher noch später je gehört, vielleicht war das mein schönstes DDR-Erlebnis. Schöner noch war zwar ein kurzes Zusammensein mit einer jungen Frau, bei dem sich alles fügte wie sonst nur im Traum, aber das war, so scheint mir, kein DDR-Erlebnis im eigentlichen Sinne, sondern hatte etwas Überzeitliches.

Mein unangenehmstes DDR-Erlebnis

Sehr unangenehm war für mich ein Gespräch mit meiner Arbeitsgruppenleiterin am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR, bei dem sie mich für die SED zu werben versuchte; ich weiß aber nicht mehr, wie ich mich da herausgewunden habe, und so kann daraus keine Geschichte werden. Unangenehm genug war aber auch ein anderes Erlebnis längere Zeit darauf, im Jahre 1981. Besagtes ZIW hatte seinen Sitz in der Leipziger Straße, in einem Teil jenes alten Prachtbaus, in dem heute der Bundesrat residiert. Nach der Arbeit ging ich gern noch ein wenig spazieren in dieser gegen Abend fast schon menschenleeren Gegend, und dabei entdeckte ich eines Tages nicht weit entfernt auf einem Bauschutthaufen eine alte, aus drei Bretter gezimmerte Tafel, die beidseitig in weißer Schrift auf rotem Grund eine Losung trug: Auf der einen Seite verlangte man – das Stück schien aus den fünfziger Jahren zu stammen –, einen Frieden, der uns Freiheit und Brot bringt, auf der anderen einen deutschen Einheitsstaat. Ich fuhr am gleichen Abend noch einmal dorthin, wickelte die Tafel in ein Laken und nahm sie mit nach Hause. Frieden oder Einheitsstaat, das war jetzt die Frage, ich entschied mich für letzteren. Tags darauf brachte ich das rote Brett ein Stockwerk höher, wo niemand mehr wohnte, im Treppenhaus an. Einige Zeit zuvor hatte ich auf einem Hof zwei an die Mülltonne gelehnte Bilder gefunden und mitgenommen, einen wohlwollend lächelnden Pieck und einen grämlich dreinschauenden Grotewohl, und die kamen links und rechts der Tafel an die Wand. Einige Wochen vergingen, dann inspizierten zwei Frauen von der Kommunalen Wohnungsverwaltung, vom Wohnungsamt oder von irgendeiner anderen Einrichtung unser Haus. Ein paar Tage später klopfte es kräftig an meine Wohnungstür: Polizei! Ob ich das dort oben angebracht hätte? Mitkommen! Auf dem Hof und vor dem Haus weitere Polizisten. Ich wurde in ein sogenanntes Bullentaxi verfrachtet und zum Revier am jüdischen Friedhof gefahren. Bei der Vernehmung gab ich ästhetische Gründe für meine Aktion an; lange hielt man sich mit mir nicht auf. Am ZIW war ich nur befristet angestellt, doch wusste man nach vier Jahren immer noch nicht so recht, woran man bei mir war und hatte ein fünftes Jahr angehängt. Als die Institutsdirektion nun von dieser Geschichte erfuhr, war für mich mit Ablauf jenes fünften Jahres dort Schluss. Dieser mit einem Aufhebungsvertrag kaschierte Rausschmiss (Formulierung aus einer DDR-Geschichte, deren Autor ich mir nicht gemerkt habe) war für mich Niederlage und Befreiung zugleich. Aber das Befreiungsgefühl überwog. Mich in der Produktion zu bewähren hatte ich abgelehnt.
(Oktober 2024)

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