von Klaus Hammer
Berlin-Kreuzberg – Fidicinstraße 40. Foto: © Kurt und Hannelore Mühlenhaupt Stiftung
Sein Lehrer, der „Brücke“-Meister Karl Schmidt-Rottluff, hatte ihn damals wegen mangelnder Begabung von der Hochschule in Berlin-Charlottenburg geschmissen. Das stürzte den jungen Kriegsheimkehrer Kurt Mühlenhaupt in eine Krise. Er verdiente sich sein Geld als Kartoffelschalenbimmler, Leierkastenmann, Trödler und auch als Kneipenwirt in Berlin-Kreuzberg. Daneben malte er wie besessen weiter: Bilder unverfälschter Ursprünglichkeit und der Melancholie, Porträts seiner Freunde und Nachbarn, Passanten oder spielende Kinder auf der Straße. „Bei mir sind die krummen Beine schön, die abstehenden Ohren und die lange Nase“, sagte Kurt Mühlenhaupt, der Maler mit dem roten Hut und der cremefarbigen Jacke. „Der andere – das bin ich auch“. Jeder Betrachter wird etwas von seiner eigenen Sehnsucht in den Porträtierten wiederfinden. Bald sind dann die Menschenbilder in Stadtlandschaften übergegangen, meist Draufsichten auf Häuserfluchten, Straßenschluchten, freie Plätze, Hinterhöfe, Kneipen.
Hervorragend kann man mit den Bildern dieses „poetischen Realisten“ das Soziotop Westberlin in den Mauerjahren erklären. Schon vor dem Fall der Mauer reiste er zu Freunden in die Mark Brandenburg, aber seit 1994 lebte er im märkischen Bergsdorf, hatte mit seiner Frau Hannelore den dortigen Gutshof zu Atelier, Künstlerhof und Museum umgebaut. Diese Landschaft zwischen Spree, Havel und Oder malte er nun – mit ihren großen Weiten und ihrer überwältigenden Ruhe, auch der Wehmut der Erinnerung an die eigene Kindheit. Zuletzt konnte er nicht mehr richtig sehen, die Formate seiner Bilder wurden größer; Details unterzubringen, fiel ihm jetzt schwer. Seine Landschaften wurden ausschließlich in Ölfarben wiedergegeben, die er nun wie Wasserfarben benutzte, wodurch die Farben wie durchsichtige Schleier zu schweben begannen.
Nach seinem Tod im Jahre 2006 hat Hannelore Mühlenhaupt den Bergsdorfer Musensitz, zu dem auch Hund, Esel und Hausschwein gehörten, als ein Kulturzentrum ausgebaut, das Besucher von Nah und Fern magisch anzog. Im Jahr 2019 ist sie wieder nach Berlin zurückgekehrt und hat in einer stillgelegten Kreuzberger Brauerei, die sie mit ihrem Mann noch vor dem Mauerfall erworben hatte, ein Museum eingerichtet – in idyllisch gelegenen Hinterhöfen, auf mehrere Räume verteilt, die dann noch erweitert wurden. Kurt Mühlenhaupt, dessen Grab und das seiner Familienangehörigen – mit ihren Emailbildnissen – sich auf den Friedhöfen Am Halleschen Tor befindet, war nun auch mit seinem Werk wieder heimgekehrt in den von ihm geliebten Kiez. Und Hannelore Mühlenhaupt präsentiert seitdem mit ihrem Team in der Kreuzberger Fidicinstraße ein abwechslungsreiches Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, mit Lesungen, Konzerten, Filmen, mit Druck-Workshops für Familien mit ihren Kindern zur Anfertigung eigener Grafik, mit Hoffesten und vielem anderen mehr. Als Nachbarschaftsmuseum, das zur Geselligkeit und zum Zusammenhalt im Kiez beiträgt, ist das Mühlenhaupt-Museum nicht mehr wegzudenken.
Kinderwerkstatt im Kurt-Mühlenhaupt-Museum. Foto: © Kurt und Hannelore Mühlenhaupt Stiftung
Doch zurück zu Kurt Mühlenhaupts Bildern von Kreuzberg, seinen Menschen, den ihm vertrauten Stadtmotiven von den Yorkbrücken über den Chamissoplatz bis zum Südstern. Das war sein „Milljöh“, und als Milieu-Maler ist er oft mit Heinrich Zille und Otto Nagel verglichen worden. Als „Maler mit Herz“ verewigte er die einfachen Leute, Menschen von nebenan, aus dem Kiez, Einsame und Menschen im Gespräch miteinander, Hausfrauen, Straßenfeger, Putzfrauen, Kellner und Bettler, Hochzeitsgesellschaften, spielende Kinder. Es gibt wenig konkrete Porträts, die meisten Dargestellten sind mehr Typen, aber doch mit einem einprägsamen Profil. Viele Figuren sind unbeholfen, korpulent, in ungelenker Bewegung dargestellt, ihres Seins unsicher, sie schauen uns fragend an – aber sie werden nicht vorgeführt, die liebenswürdige Komik ist nicht verletzend, sondern wir knüpfen gleich eine Beziehung zu ihnen, entdecken in ihnen unsere eigenen Ungeschicklichkeiten, Schwächen, auch Sehnsüchte und Hoffnungen.
„Die Straße war meine Schule“, hat der Maler gesagt, und so sind auch Hinterhöfe und Kirchen, Litfaßsäule und Pinkelbude Objekte seiner Ansichten. Er bevorzugt die Draufsicht in seinen Kiez-Porträts, aus Häuserfluchten werden Häuserschluchten. Sparsam ist er mit den Farben umgegangen, ihre Skala bleibt weitgehend monochrom, es gibt keine Kontraste. Das typische „Mühlenhaupt-Grau“ macht seine Arbeiten so unverwechselbar. Der Lichtschimmer, der über die Oberfläche spielt, ist mehr als nur ein optischer Effekt. Er ist zugleich ein kontrollierter Pulsschlag der Erregung. Ohne diese persönliche Note, ohne diesen rhythmischen Herzschlag würden seinen Bildern gerade diejenigen Eigenschaften fehlen, durch die sie uns anrühren.
Das Grauen, das Entsetzen, die Verzweiflung hat der Maler nie unmittelbar auszudrücken versucht. Ihm war ja im Gegenteil die Kunst gerade ein Mittel, sich vor den Mächten des Dunkels zu retten. Dennoch spricht aus seinen Bildern mitunter nur so etwas wie eine leise, fast träumerische Melancholie, mitunter auch – wie ein bedrückender Alp – menschliche Einsamkeit und Verlassenheit. Doch indem er die Trauer seines Herzens malte, umkleidete er sie mit dem Abglanz des Lichtes, hob er sie in die heilende Sphäre der Einkehr und Besinnlichkeit. Seine Malerei hat gewiss kaum Abstraktes; mehr als an den Geist wendet sie sich an die Augen und an das Herz. Sicher ist dies der beste, wenn auch nicht einzige Weg zum Verständnis Mühlenhaupts: die Augen zu öffnen und zugleich auch das Herz.
Kurt-Mühlenhaupt-Museum. Foto: © Kurt und Hannelore Mühlenhaupt Stiftung
Die in warmes Licht getauchten großformatigen Berliner Studien Mühlenhaupts zeigen die dicke Rosi und die Kneipen-Inge in draller Nacktheit, den Maler selbst mit kranker Hand, „Hannelore als Dame“, „Morgengymnastik“, „Nach der Sauna“, „Kleines Tischgespräch“, „Man läuft aneinander vorbei“, „Spaziergang im Winter“, „Am Rentenzahltag“, „Familienidylle“, Arbeiterfrauen, Straßenfeger, Putzfrauen, Kellner, Bettler, spielende Kinder, „Der Murmelkönig“, Hochzeitsgesellschaften, festliche Veranstaltungen, Berliner Stadtmotive, Hinterhöfe und Kirchen. Das sind die heiteren, aber auch melancholisch- traurigen Geschichten des Kreuzberger Milieu-Malers. Man fühlt sich irgendwie geborgen in seiner Welt der Menschlichkeit. Wie sagte „Kurtchen“ – so nennen ihn seine Freunde und Bewunderer – ? „Wat die Leute später mal über mich sagen, det jeht mich ja dann sowieso nischt mehr an“.
Kurt Mühlenhaupt Museum, Fidicinstr. 40, 10965 Berlin. Für Kurzentschlossene: Am 19. Januar wird im Mühlenhaupt-Museum „Kurtchens“ Geburtstag gefeiert. Mit Live-Musik bei freiem Eintrittt ab 19.00 Uhr.
Wurde durch den empathischen Artikel neugierig gemacht, danke.