Weiß ist nicht unbestimmter Rest, sondern bestimmte Form

von Klaus Hammer


Ursula Strozynski: Andalusien V, Kaltnadelradierung (2007); Foto: Galerie der Berliner Graphikpresse.

„Stadt im Süden“, „Mondschein“, „Abendlicht“, „Reusen“, „Regatta“, „Steg im Nebel“, „Liegestühle“, ,„Ostsee“,„ Andalusien“, „Matera“, „Monopoli“ – so lapidar sind ihre Kaltnadelradierungen, von denen sie einige auch aquarelliert hat, ihre Siebdrucke, Monotypien, Collagen und Arbeiten in Mischtechnik betitelt. Es sind klare, reduzierte, auf das Wesentliche orientierte Architektur- und Naturlandschaften: Strände, Boote, Stege, Brachen, Giebel, Dächer, Brücken, Treppen, Plätze, Häuser, Höfe, Industriegebäude, Maschinenhallen, Strommasten, Oberleitungen; Konstruktives aus Stahl, Glas, Mauerwerk und Beton, rhythmisch Strukturiertes. Von der Offenheit des Unbestimmten verläuft der Arbeitsvorgang von Ursula Strozynski, die sich nach ihrem Architekturstudium in Dresden als freischaffende Grafikerin und Malerin in Berlin niedergelassen hatte, zur erreichbaren Klarheit und Bestimmtheit. Der Strich wird zum Stützwerk, die Konstruktion schiebt sich vor die Darstellung. Die Tendenz zu Formen wird zunehmend größer, auf das Ungerichtete folgt Verdichtung, Betonung, Definition. Die auf das Papier geschriebene Linie stellt nicht dar, sie definiert – mit analytischem und konstruktiven Blick – durch eine bewegte Raumlinie. Kontrapunktisch stehen sich die Ebenen gegenüber oder sie werden verbunden, vernetzt. Gelegentlich bricht ein Strich in das Gespinst ein, klärt, bestimmt oder stört. Das eigentliche Thema tritt erst in der Endphase, im Zustand der Verdichtung und Verbindung der Ebenen in Erscheinung.

Mit Abbilden haben Ursula Strozynskis Arbeiten nichts zu tun. Ihr geht es nicht darum, „treffend“ abzubilden, sondern zu strukturieren und zu erfinden. Aus der Notwendigkeit, die Wahrnehmung vielfältiger, sich gegenseitig bedingender Formen, Volumina, Zwischenräume, Strukturen, Größenverhältnisse, Überlagerungen neu zu ordnen, bedient sie sich des Positiv-Negativ-Prinzips, des Spiels zwischen Sujet und Grund. Die Annäherung an ein Sujet von außen, das bedeutet Aussparung, stets gleichberechtigt neben dem umgekehrten Verfahren. Das verbleibende Papierweiß verwandelt sich so vom Hintergrund in eine gleichberechtigte Bildform, ist, wenngleich weiß, doch definiert. Weiß ist also nicht unbezeichneter Rest, sondern bestimmte Form. Perfekt weiß diese Künstlerin das spannungsvolle, Raum, Licht und Farbe suggerierende Zueinander von gezeichneter Linie und freier Fläche zu demonstrieren.

Die menschliche Figur fehlt in diesen Arbeiten oder wird nur wie ein dunkler Punkt in der unendlichen Horizontale der Landschaft wahrgenommen. Die Plätze, Straßen, Verkehrsknotenpunkte – auch wenn die Blätter nach Italien, Südfrankreich, Andalusien oder Marokko führen – sind menschenleer, die Strandlandschaft liegt verlassen da, die Marktstände entbehren der Waren und des Publikums. Diese Arbeiten spiegeln die südliche Welt, sie sind viel impressiver, malerischer, auch farbiger, überflutet vom Licht. Und vermittelt sind die Menschen dennoch präsent, denn es handelt sich ja bei den Sujets um von Menschen Geschaffenes, von Menschen Genutztes. Aber ob in der heimatlichen Nähe oder in der Ferne – im Grunde sucht Ursula Strozynski immer nur die Stille, die Konzentration, die innere Ruhe zur Arbeit. Das Ordnen und Komponieren, das rechte Zueinanderstellen der Dinge im Raum auf der und in die Bildfläche ist ihr fortwährendes Anliegen, egal ob es sich um reine Landschaften, Stadtlandschaften, um Architektur, um Häfen, Schiffe, Segelboote oder um verlassene Liegestühle handelt. Das Fokussieren einzelner Elemente und der frei schweifende Blick ergeben im ständigen Wechsel das Gesamtbild.

In farbigen Materialdrucken wie „Matera“ (2022, gern kreist die Grafikerin ihr Thema in ganzen Folgen ein), jener über einer Schlucht sich erhebenden süditalienischen Höhlenstadt, fangen geometrisch-stereometrische Strukturen die Kubatur der Höhlenwohnungen und Felsenkirchen ein, die auf flächigem Untergrund zum Modulator von Licht und Finsternis werden. Die Teilungen und Intervalle zwischen den Farbflächen lassen an geologische Formationen denken und ordnen diese Arbeiten der Landschaftskunst zu. Das ermöglichte der Künstlerin, fast alles – bis auf die räumlichen Andeutungen, die emotionalen Kräfte der Farben und die lebendige Intensität der Oberfläche – aus ihren Blättern zu eliminieren.


Ursula Strozynski: Matera, farbiger Materialdruck auf schwarzem Karton (2022); Foto: Galerie der Berliner Graphikpresse.

Ursula Strozynski komplettiert die Szene nicht zum Genrebild. Ihre Blätter sagen viel, aber sie erzählen nicht. Mit sparsamstem Strich vermag die Künstlerin eine unverwechselbare Atmosphäre zu vermitteln. Die besondere Stimmung der Szene teilt sich dem Betrachter so einprägsam mit, dass er sie so schnell nicht wieder vergessen wird.

Ursula Strozynski – Auf Reisen. Galerie der Berliner Graphikpresse, Am Falkenberg 25, 12524 Berlin (Altglienicke). Mi, Do, Fr 13.00 – 18.30 Uhr, Samstag 26.7. uund 9.8. 11.00-15.00 Uhr; bis 15. August.
www.galerie-berliner-graphikpresse.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert