Deutsche Zustände (1)

Messerverbote, Wehrunterricht, Chips, Spione und klagende Autobauer – von Wolfgang Brauer aufgezeichnet im Oktober 2025


Carl Spitzweg: Sonntagsspaziergang (1841) – Museum Carolino Augusteum Salzburg. Foto: Sammlung W. Brauer

Muss ich mich jetzt selbst anzeigen? Ich war neulich außerhalb von Berlin Pilzesuchen und benutzte – auch aus ökologischen Gründen – die S-Bahn. Ein ordentlicher Pilzesucher hat ein Messer dabei. Mein Nützliches habe ich vor vielen Jahren auf der Insel Korsika gekauft. Korsische Hirten zerteilen mit solcherart Klingen ihren Käse und ihr Brot, schnitzen die Hütestöcke und schneiden damit die Klauen ihrer Schafe. Dem Vernehmen nach rammelt gelegentlich einer solch Ding auch mal einem Nebenbuhler zwischen die Rippen. Korsika eben. Ich weiß jetzt nicht, ob mein Pilz-, Käse- (und ja, auf Korsika: Nebenbuhlermesser) in „§ 42b Absatz 1 des Waffengesetzes oder einer Rechtsverordnung nach § 42b Absatz 2 des Waffengesetzes“ nach der WaffÖPNVVerbotV BE vom 24. Juni 2025 erfasst ist. Wenn ja, beging ich einen eindeutigen Verordnungsbruch. Zur Entlastung vermag ich nur drei Dinge anzubringen: Erstens befand ich mich am Verordnungstag in einem trockenen Bachtal des Harzes, da gabs auch kein Netz. Zweitens leben alle meine potenziellen Nebenbuhler noch und erfreuen sich bester Gesundheit. Pilzesuchen gehe ich mit ihnen aber nicht. Drittens wurde meine potenzielle Waffe vor einigen Jahren in Kiel eine halbe Stunde lang von drei (!) Bundespolizisten untersucht und durfte dann doch mit an Bord des Schiffes. Aber Seefahrer sind Härte gewöhnt. Und Piraterie.

Gut, Kiel ist für Berliner Hüter der öffentlichen Ordnung Ausland, fast schon Polarkreis. Jedenfalls schütteln mich jetzt Angst und Unsicherheit. Pilze kaufe ich nur noch im Supermarkt.

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Alexander Dobrindt (CSU) versucht sich nach einer abwechslungsreichen Karriere derzeit als Bundesinnenminister. Als solcher „regte“ er jetzt via Handelsblatt an, die Schüler an den deutschen Schulen besser auf Krisen, „ja, sogar Kriegsfälle“ (wie voller Überraschung SWR3 aufmerkte) vorzubereiten. Dazu schlägt er eine Doppelstunde pro Schuljahr vor. Lassen wir einmal beiseite, dass den Bundesinnenminister die Angelegenheiten der deutschen Schulen genauso viel angehen wie der Staub auf meiner Teppichkante: Die „Doppelstunde“, in der vermittelt werden soll, was es so an Bedrohungsszenarien gibt und wie man sich darauf vorbereitet, wird nicht ausreichen. Der erste Teil der Dobrindtschen Lernziele ist leicht erklärt: Uns bedroht natürlich „der Russe“. Der zweite Problemkreis ist entschieden umfänglicher. Die Grünen haben das erkannt. Man solle regelmäßig Leute in die Schulen holen, die sowas erklären, meinte Parteichef Felix Banaszak jetzt. Er sprach vom Technischen Hilfswerk. Noch … Aber bald wird auch Banaszak „kompetenteres“ Personal fordern. Dobrindts „Anregung“ ist ihm offenbar zu lasch. Wie die Berliner Zeitung am 30. Oktober berichtete, applaudieren zumindest die Berliner Grünen ganz brav. Wenn, ja wenn es denn kein „Wehrunterricht wie in der DDR“ werde… Schade, dass Margot das nicht mehr erleben kann. Die würde sich scheckig lachen.

Kein Aufschrei nirgends bei den ehemaligen Bürgerbewegten. Der bleibt ausgerechnet Gottfried Curio (AfD) vorbehalten, der von „pädagogischem Kindesmissbrauch zum Zwecke der Kriegspropaganda“ und „bellizistischer Lufthoheit über den Kinderbetten“ sprach. Nicole Gohlke (LINKE) hingegen kritisierte die „Panikmache“ Dobrindts und meinte, die Schule müsse „unbedingt ein Schutzraum bleiben“. Heilige Einfalt! Auf die Idee ist Dobrindt noch nicht gekommen. Schule als Schutzraum… In der DDR gab es einen Schultyp, dessen Kellergeschoss sich sehr leicht in einen „Schutzraum“ hätte umwandeln lassen. Meint Gohlke so etwas? Ich muss doch noch irgendwo ein Foto haben…

Merkt der bayerische Miles Gloriosus eigentlich, was er mit seinem Schwadronieren anrichtet?

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Gut gemachte Satire ist selten. Mittlerweile setzen die absolut regierungsfernen öffentlich-rechtlichen „Comedians“ die Standards. Manchmal aber blitzt sogar in den sozialen Netzwerken ein kleines Lichtchen auf. Der Postillion hatte sich am 28. Oktober der Nöte der deutschen Automobilindustrie angenommen – der gehen wegen bösartiger Chinesen die Mikrochips aus – und ein Grinsefoto mit Jens Spahn montiert: „Halbleiterkrise beendet: Jens Spahn kauft Chips für über 3 Milliarden Euro“. Der fröhlich in die Kamera blickende CDU-Matador hält dem Betrachter eine Tüte „Chipsfrisch“-Kartoffelchips ins Gesicht. Einmal abgesehen davon, dass die Idee dahinter von der Titanic stammt („Zonen-Gabis erste Banane“ – wir erinnern uns, es war eine geschälte grüne Gurke…), finde ich das gut.

Aber die Realität toppt im Falle Spahn auch noch die böseste Satire. Dieser Tage ging der CDU-Fraktionschef auf die AfD los, weil die ihre „parlamentarischen Rechte“ missbrauche, „um ausländischen Diktatoren sicherheitsrelevante Informationen zu besorgen“. Spahn spielt damit auf Informationen an, die Parlamentarier auf dem Anfrageweg erhalten. Er selbst scheint die Antworten der Bundesregierung nicht zu lesen – die werden veröffentlicht –, sonst wüsste er, dass die alles andere als „sicherheitsrelevante Aussagen“ enthalten. Da, wo es wirklich weh tun könnte, hüllen sich Regierungen in der Regel in Schweigen. Nur sehr, sehr selten verplappert sich da mal einer. Sekundiert wird Jens Spahn ausgerechnet von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD, tatsächlich?). Der meint, die Höcke-Partei nutze das Fragerecht gezielt, „um Informationen über kritische Infrastruktur wie Energieversorgung, Verkehr oder polizeiliche Ausrüstung abzufragen“. Jetzt lacht aber der Kreml – und Xi erst recht. „Polizeiliche Ausrüstung“ als kritische Infrastruktur in Thüringen … Obwohl, in kritischem Zustand scheint die durchaus zu sein. Jeder sibirische Dorfgendarm würde es als Zumutung von sich weisen, mit einer solchen Karre durch die Taiga düsen zu müssen, mit der seine hiesigen Kollegen über den Rennsteig pesen dürfen.. Ach, Herr Maier…

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Damit gewann August Horch 1913 und 1914 die Internationale Österreichische Alpenrundfahrt: ein Audi C 14 Phaeton von 1913. Lang ist’s her. Inzwischen droht der Standort Zwickau – das Werk in Mosel – zum VW-Recyclingzentrum zu verkommen… Mit „sächsischer Ingenieurkunst“, wie die üblichen Claqueure erklären.
Foto: W. Brauer (2007)

Aprospos Xi, also China. In Thüringen gibt es, so die OTZ, einen „Autozuliefercluster Automotive Thüringen“. Das klingt nach Weltmarktführerschaft! Dessen Geschäftsführer – der Mann heißt Rico Chmelik – beklagte, dass sich jetzt „die anhaltende Abhängigkeit von Lieferungen aus China“ räche. Er meint den chinesischen Lieferstopp von Mikrochips für die Automobilindustrie, nachdem die in den Niederlanden ansässige Firma Nexperia, ein chinesisches Unternehmen, quasi aus dem Off heraus durch die Regierung der Niederlande unter staatliches Kuratel gestellt wurde. Chmelik beklagt nicht, dass das offensichtlich aus anhaltender Abhängigkeit gegenüber einer gewissen Supermacht – China ist es nicht… – geschah. Da gibt man sich auch in Thüringen transatlantisch-demutsvoll. Dafür bejammert er, dass „gegenwärtig 93 Prozent der weltweiten Batteriezellenfertigung für E-Autos in chinesischer Hand seien und das Land auch 60 bis 70 Prozent der Chips für die Autofabriken weltweit produziere“.

Mein Gott, man nennt das Globalisierung, Herr Chmelik. Hat man das im „Grünen Herzen Deutschlands“ noch immer nicht begriffen? Gerade die deutsche Automobilindustrie hat die über viele Jahre hinweg knallhart mit vorangetrieben, in Billiglohnländern hervorragend verdient und in anderen die Zollbestimmungen ausgetrickst. Globalisierungsbegleitend haben wir in Deutschland dafür nicht nur die Grundlagenforschung, sondern auch die Ingenieurwissenschaften über Jahrzehnte sträflich vernachlässigt und die „MINT“-Fächer an den Schulen kaputt gespart hat. Das wirkt jetzt.

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Das Beste zum Schluss. Wir bleiben bei der Automobilproduktion. Im Eisenacher Opelwerk stehen zum Monatsende mal wieder die Bänder still. „Das sei eine notwendige Reaktion auf ausbleibende Teile von Unterzulieferern“, zitiert die OTZ eine Unternehmenssprecherin. Das will ich jetzt nicht weiter kommentieren. Hübsch aber war die Begründung des zweitägigen Bänderstopps zu Beginn des Monats: „Anpassung des Produktionstempos an einen herausfordernden Markt in Europa und […] Reduzierung der Lagerbestände“. Das erinnert mich an die Sprache des ehemaligen „Zentralorgans der SED“. Die Kollegen waren angesichts der schwelenden wirtschaftlichen Krise der DDR ähnlich kreativ.

2 Kommentare

  1. Sehr schöne Zusammenstellung in gekonnt ironischem Grundton!
    An Material für weitere Folgen sollte es wohl nicht mangeln.
    Übrigens: Als es in den Endsiebzigern in der DDR mal zu Belieferungsproblemen des Handels kam und dies nicht mehr – wie es sonst die Regel war – ganz zu verschweigen ging, nannte man das „Rhythmusstörungen in der Produktion“.

  2. Ja, die Auto-Chips. Heute (5.11.) morgen sagte ein öffentlich-rechtlicher Journalist im rbb-Inforadio u.a. Folgendes: „In den Chefetagen der Konzerne geht die Angst um, denn ein Teil ihrer Gehälter wird in Boni berechnet, wenn sie bestimmte Unternehmensziele erreichen. Der VW-Chef Oliver Blume erhielt im vergangenen Jahr 10 Millionen Euro, davon 2 Millionun als Boni. Wenn die jetzt wegfallen muss man in den Chefetagen den Gürtel enger schnallen.“

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